Vor 60 Jahren: Im Berliner Spionagetunnel beginnt das Abhören

Fast ein Jahr lang, vom 11. Mai 1955 bis zum 22. April 1956, zapften die Geheimdienste CIA und MI6 in einem Tunnel unter der Berliner Sektorengrenze Telefon- und Fernschreibkabel an, die die sowjetischen Armee benutzte.

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Vor 60 Jahren: Im Berliner Spionagetunnel beginnt das Abhören

Blick ins Innere: Jeder Ring besteht aus fünf Stahlsegmenten.

(Bild: (c) Ralf Bülow)

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Von
  • Ralf Bülow

Es ist Mittwoch, der 11. Mai 1955. In einem Schacht unter dem Ostberliner Bezirk Altglienicke arbeiten Spezialisten des englischen Geheimdienstes MI6 an drei Fernkabeln, die den Telefon-und Fernschreibverkehr aus Schönefeld übertragen, wo die Rote Armee sitzt. An eines der Kabel schließen sie ein Leitungsbündel an, das in einen langen Stollen führt, der erst in Rudow im US-Sektor endet. Dort nehmen Kollegen von der CIA die abgehörten Signale gleich auf Tonband auf. Die beiden anderen Kabel werden am 21. Mai und am 2. August 1955 angezapft.

Ein 1997 geborgener Tunnelabschnitt im Berliner Alliiertenmuseum

(Bild: Ralf Bülow)

So begann vor 60 Jahren der Lauschangriff, der als Berliner Spionagetunnel in die Geheimdienstgeschichte einging. Die Idee kam vom MI6, der 1949 schon einen 20 Meter langen Tunnel in Wien gegraben hatte, das wie Berlin in vier Sektoren geteilt war. Er führte in Wien-Schwechat vom britischen Gebiet zu einem unterirdischen Kabelstrang, der das sowjetische Hauptquartier im Stadtzentrum mit dem Umland und letztlich Moskau verband. 1951 informierte man die CIA, die dann die Abhöraktion in Berlin wiederholen wollte.

Von 1951 bis 1953 wurde in mehreren Treffen das englisch-amerikanische Vorgehen festgelegt. In Berlin bot sich die Chance, in die Kommunikation der Roten Armee und ihres Geheimdienstes GRU zwischen den Standorten Karlshorst, Schönefeld und Wünsdorf und dem fernen Moskau einzudringen. Die CIA übernahm den Tunnelbau, die Aufnahme der gewonnen Informationen und das Entschlüsseln des Fernschreibverkehrs. Auf die Briten entfielen das Anzapfen der Kabel und die Vorverstärkung der Signale. Außerdem sorgten sie für ein Auswertungszentrum, das die Bänder mit den deutschen und russischen Telefonaten transkribierte und übersetzte.

Über dem vorgesehenen Startpunkt des Tunnels in Berlin-Rudow errichtete eine nichtsahnende deutsche Firma drei Gebäude, angeblich für eine Radarstation. Von August 1954 bis Februar 1955 gruben Pioniere der US Army einen drei Meter unter der Erde verlaufenden Tunnel mit einer Länge von 450 Metern, der die Grenze zum sowjetischen Sektor unterquerte und unter der Schönefelder Chaussee in Altglienicke endete. Mitarbeiter des MI6 erweiterten den Tunnel durch einen Schacht nach oben, der den Zugriff auf die knapp unter dem Boden liegenden Kabel ermöglichte.

Das alte Berliner CIA-Hauptquartier am Föhrenweg in Dahlem

(Bild: Ralf Bülow)

Die Signale aus den 273 Leitungspaaren der drei Kabelstränge wanderten im Tunnel in eine umfangreiche Verstärker-Batterie und von dort zu 600 Tonbandgeräten, die Tag und Nacht in der amerikanischen "Radarstation" in Rudow liefen. Ausgewählte Bänder wurden schon in Berlin abgehört und auf wichtige Meldungen geprüft, die eigentliche Bearbeitung fand aber in den dafür eingerichteten Zentren in Washington und London statt, die jeweils mehrere hundert Menschen beschäftigten.

Das Ende des Lauschangriffs kam elf Monate und elf Tage nach dem Start, als am 22. April 1956 sowjetische und ostdeutsche Techniker in Altglienicke die Abhörstelle und den Tunnel dahinter entdeckten (Video: ab 4:30 Minuten). Dies geschah nicht zufällig, sondern war Ergebnis sorgfältiger Planung des Geheimdienstes KGB und der sowjetischen Staatsspitze, die durch den Doppelagenten George Blake seit 1953 vom Abhören wussten. Um Blake zu schützen, hatten sie aber weder die Rote Armee noch die GRU unterrichtet und den Informationsfluss an CIA und MI6 in Kauf genommen.

Die "Operation Gold" – andere Decknamen sind Stopwatch, PBJOINTLY, REGAL und Prince – bescherte den westlichen Diensten eine Fülle militärischer und politischer Geheimnisse. Als die Auswertung 1958 endete, waren 368.000 russische und 17.000 deutsche Telefonate transkribiert worden, dazu kamen 174.000 Stunden Fernschreibverkehr. Wer sich heute für den Berliner Spionagetunnel interessiert, findet eine sieben Meter lange Röhre mit erklärendem Video im Berliner Alliiertenmuseum; weitere Teile lagern im Depot. Wo einst der Tunnel verlief, erstreckt sich inzwischen der Landschaftspark Rudow-Altglienicke.

(mho)