Vorratsdatenspeicherung 2.0: Grundrechtsverletzung mit Zuckerguss

Justizminister Maas stellt am Dienstag den Entwurf zur "Speicherpflicht für Verkehrsdaten“ vor. Ein Frontalangriff auf die Freiheit – oder ein grundrechtsschonendes Instrument? Verfassungsrechtler Ulf Buermeyer bewertet den Entwurf für heise online.

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Heiko Maas

Justizminister Heiko Maas hält seinen Entwurf für grundrechtsverträglich.

(Bild: dpa, Hannibal)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Ulf Buermeyer
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Diesmal soll der Schuss wirklich sitzen: Das Bundesverfassungsgericht hat Version 1.0 der deutschen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung 2010 verworfen, 2014 hat der Europäische Gerichtshof auch die zugrundeliegende Richtlinie gekippt. Nun möchte die Große Koalition aus CDU und SPD mit ihrem neuen Anlauf alles richtig machen.

Auf den ersten Blick haben die Autorinnen und Autoren aus dem Justizministerium solide Arbeit abgeliefert. In zahlreichen Vorschriften haben sie detaillierte Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aufgenommen, mitunter gar per Copy & Paste. Vor allem das Thema Datensicherheit der Vorratsdaten bei den ca. 1000 verpflichteten Providern nimmt breiten Raum ein. Gleichwohl wird der Entwurf massiv kritisiert – zu Recht. Die Tücken liegen sowohl in den Details als auch in der Grundsatzentscheidung "pro VDS“.

Mit Händen ist zu greifen, dass der schwarz-rote Vorschlag wiederum Grundrechte nur gerade so weit schützen will, wie es Karlsruhe und Luxemburg zwingend verlangt haben. So schrammt der Entwurf konsequent an der Leitplanke dessen entlang, was die Gerichte gerade noch für zulässig gehalten haben. Es entsteht der Eindruck, als würden Grundrechte allenfalls zähneknirschend geachtet, von einer ehrlichen Abwägung zwischen den "Bedürfnissen einer wirksamen Strafrechtspflege“, wie das BVerfG formuliert, und den Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger ist hingegen nur wenig zu spüren – am ehesten noch bei der 4-Wochen-Frist für die Speicherung von Standortdaten.

Eine Analyse von Ulf Buermeyer

Ulf Buermeyer ist ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverfassungsgerichts und Richter am Landgericht Berlin. Dort ist er seit 2008 u.a. in Wirtschaftsstrafsachen tätig. Daneben ist er Redakteur der Zeitschrift für höchstrichterliche Rechtsprechung im Strafrecht (HRRS) und bloggt gelegentlich auf netzpolitik.org.

Diese wenig grundrechtsfreundliche Grundhaltung zeigt sich in vielen Details: So ist der Abruf von Verkehrsdaten wie etwa Handy-Verbindungen und Standortdaten im Entwurf zwar eigentlich differenziert geregelt – nach einem Absatz sollen „sowieso“ bei Providern gespeicherte Daten abgerufen werden dürfen, nach einem anderen Absatz unter strengeren Voraussetzungen auch die Vorratsdaten. Der erste Absatz verweist allerdings auf eine weitere Verweisung, auf „andere gesetzliche Vorschriften“. Prompt fürchtete etwa der AK Vorrat, dass dieses Pingpong-Spiel des Gesetzgebers am Ende auch Vorratsdaten erfassen könnte. Das dürfte zwar letztlich nicht zutreffen – aber wem der Schutz der Grundrechte wirklich am Herzen liegt, der sollte so zentrale Fragen wie den Abruf der Vorratsdaten eindeutiger regeln.

Ein weiteres heißes Eisen: der Richtervorbehalt. Ja, über den direkten Abruf von Vorratsdaten soll stets ein Gericht entscheiden. In den meisten Fällen, in denen Vorratsdaten eine Rolle spielen werden, soll das aber nicht gelten: Wenn die Polizei wissen möchte, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt eine IP-Adresse genutzt hat, dann muss der Provider unter Rückgriff auf Vorratsdaten Auskunft geben – auch bei noch so geringfügigen Tatvorwürfen wie etwa Beleidigungen in einem Online-Forum. Hier sieht der Entwurf weder einen Richtervorbehalt noch eine Beschränkung auf erhebliche Straftaten vor. Zwar hatte das BVerfG diesen Freifahrtschein für die sogenannte Bestandsdatenabfrage in seinem Urteil von 2010 selbst ausgestellt. Es hat aber schon 2012 festgestellt, dass auch bei solchen Abfragen in das Telekommunikationsgeheimnis eingegriffen wird – der Entwurf übergeht dies.

Gravierender als die Kritik im Detail wiegen allerdings grundsätzliche Bedenken gegen eine anlasslose Speicherung im Hinblick auf ihre Verhältnismäßigkeit und die sogenannte "Überwachungs-Gesamtrechnung“. Letztere bedeutet nach dem BVerfG, dass der Gesetzgeber bei einer Entscheidung über neue Datenspeicherungen stets im Blick behalten muss, welche Daten bereits abgerufen werden können. Damit soll eine Salami-Taktik vermieden werden, bei der einzelne Maßnahmen für sich betrachtet in Ordnung gehen mögen, aber in der Gesamtschau eine Totalüberwachung ermöglichen.

Spätestens seit den Snowden-Enthüllungen wissen wir, dass die Five-Eyes-Staaten eine vollständige Erfassung des Internet- und Mobilfunkverkehrs weltweit anstreben; deutsche Stellen haben auf die Datenberge wenigstens teilweise Zugriff. Außerdem können Polizei und Justiz schon heute auf die von Providern freiwillig gespeicherten Verkehrsdaten und auf jede Menge Inhaltsdaten zugreifen, etwa auf E-Mails und Profile bei Google, Facebook und vielen anderen Telemediendiensten. Ist vor dem Hintergrund dieser bereits existierenden Möglichkeiten eine weitere nationale Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen? Dieses Problem spricht der Gesetzentwurf erst gar nicht an.

Verhältnismäßig ist ein so massiver Eingriff in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger außerdem nur, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das BVerfG hatte 2010 noch geurteilt, dass dies unter strengen Voraussetzungen der Fall sein könne. Seither ist wiederum viel geschehen: 2011 veröffentlichte das Max-Planck-Institut in Freiburg (MPI) eine Studie zu den Erfolgen der VDS 1.0 – Ergebnis: Ein positiver Effekt selbst einer sechsmonatigen Speicherung auf die Strafverfolgung lässt sich nicht nachweisen. Auch eine Evaluation der EU-Kommission zum Nutzen der VDS in allen EU-Staaten verlief ergebnislos. Der Gesetzentwurf geht auf diese gravierenden Indizien gegen den Nutzen einer VDS nicht ein, das entscheidende Gutachten des MPI wird auf 55 Seiten nicht einmal erwähnt.

Das Totschweigen der eigentlichen verfassungsrechtlichen Probleme ist verräterisch. Denn scheinbar akribisches Abschreiben von ausgewählten Details aus den Urteilen des BVerfG und des EuGH kann eine überzeugende Antwort auf zwei Fragen nicht ersetzen: Warum eine nicht einmal nachweisbar wirksame Maßnahme verhältnismäßig sein soll und ob die Überwachungs-Gesamtrechnung nicht ergibt, dass unser Gemeinwesen längst weit in den roten Bereich gedriftet ist, was die Achtung der Privatsphäre angeht. Der Gesetzgeber hat zwar einen Spielraum einzuschätzen, welche Maßnahmen er für angemessen hält. Die Augen vor der Wirklichkeit verschließen darf er aber nicht: Auch mit 2/3-Mehrheit gibt 2+2 nicht 5.

Die Schwächen der Begründung des mit viel Mühe vorbereiteten Gesetzentwurfs machen deutlich: Es gibt keine überzeugenden Gründe für eine anlasslose verpflichtende Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten. Polizei und Justiz haben in den fünf Jahren seit dem Ende der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland keinesfalls vor „dem Verbrechen“ kapitulieren müssen. Im Gegenteil haben sie auch ohne Vorratsdaten in der digitalen Welt zahlreiche Ermittlungsmöglichkeiten, von denen ihre Kollegen noch in den 1990er Jahren nur träumen konnten. Dabei sollten wir es belassen: In einem Rechtsstaat dürfen Sicherheitsbehörden nun einmal nicht alles, was technisch möglich wäre. (axk)