BND-Präsident im Geheimdienstausschuss: "Wir sind abhängig von der NSA"

BND-Chef Gerhard Schindler hat Fehler im Umgang mit NSA-Zielvorgaben eingeräumt. Gegen Gesetze habe der BND aber nicht verstoßen. Ihm habe die Fantasie gefehlt, Schmu bei Selektoren mit EU-Bezug bei Daten aus Krisengebieten zu wittern.

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BND

(Bild: dpa, Soeren Stache)

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Mehrere "Sollbruchstellen" hat der Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND), Gerhard Schindler, im Umgang mit den Suchzielen der NSA im Rahmen einer Kooperation zur Fernmeldeaufklärung ausgemacht. "Die Überprüfung der Selektoren war von Beginn an unvollständig", benannte der 62-Jährige die "Erbsünde" in der Affäre. Schindler, der die Behörde mit 6000 Mitarbeitern seit Anfang 2012 leitet machte seine Aussagen im im laufenden NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags.

Bei einer ersten Kontrolle der Merkmale im April 2005 sei nur geschaut worden, ob die Vorgaben zum Schutz deutscher Bürger im Einklang mit dem Fernmeldegeheimnis gewahrt würden. Per "Zufallsfund" sind die internen Aufpasser damals laut Schindler über zwei Unternehmensnamen gestolpert, bei denen es sich Berichten zufolge um EADS und Eurocopter handelte. Diese seien im juristischen Sinn zwar keine deutschen Firmen, trotzdem habe man sie aufgrund deutscher Beteiligungen fortan ausgefiltert.

BND-Chef Gerhard Schindler

(Bild: BND)

Auch eine Dienstvorschrift zum Umsetzen der Vereinbarung von 2002 zur Kooperation mit der NSA in Form eines "Memorandum of Agreement" (MoA) habe es nicht gegeben, beklagte Schindler. Dies wäre heute gar nicht mehr denkbar. Ferner sei das fehlerhafte händische Kontrollverfahren der Ziellisten 2008 "verfestigt" worden, als das Filtern in einen automatisierten elektronischen Prozess überführt worden sei. Damals habe die Abteilung Technische Aufklärung der Leitung des BND zwar ein "ungutes Gefühl" kundgetan.

Dieser Hinweis sei aber "ohne Reaktion" geblieben, kritisierte Schindler indirekt seine Vorgänger. Letztlich sei er "leider" nicht über die ersten "systematischen" Sonderprüfungen der Selektoren im August 2013 unterrichtet worden. Auf Nachfrage fügte er hinzu, dass wohl keine "100-prozentige Überprüfung aller Selektorentypen" stattgefunden habe. Der Prüfer Dr. T. habe sich bewusst auf IP-Verkehr mit E-Mail-Adressen beschränkt. Eine "Erfassung deutscher Grundrechtsträger" sei aber generell höchstens ausnahmsweise erfolgt.

Große Folgen habe das Einspielen von Merkmalen, die gegen europäische Interessen verstießen, in der Dienststelle Bad Aibling aber nicht gehabt, führte Schindler aus. Die dortigen Systeme zum Abschnorcheln von Satelliten seien auf "Krisengebiete" wie Afghanistan ausgerichtet. Dort sei es aber schwer, Abhörziele aus Europa zu finden. Deswegen seien auch bei den Unmengen an Metadaten (Berichten zufolge handelt es sich um 1,3 Milliarden Metadaten pro Monat), die aus Bad Aibling an die NSA gingen, so gut wie keine Informationen über Deutsche dabei.

NSA-Skandal

Die NSA, der britische GCHQ und andere westliche Geheimdienste greifen in großem Umfang internationale Kommunikation ab, spionieren Unternehmen sowie staatliche Stellen aus und verpflichten Dienstleister im Geheimen zur Kooperation. Einzelheiten dazu hat Edward Snowden enthüllt.

Die Snowden-Dokumente hat der BND im Leitungsstab laut dem Zeugen hundertfach überprüft und schier "jedes Chart" mithilfe von Technikern auseinandergenommen. Es seien aber wenig Bezüge zum deutschen Auslandsgeheimdienst aufgefallen. Zumindest habe es keinen Anlass gegeben, die Selektoren als "Bingo" und gesondert ins Auge zu nehmen. Ihm habe auch die "Fantasie" gefehlt, dass die NSA bei einem Abgriff von Daten aus Krisenregionen Selektoren mit EU-Bezug hätte einsetzen wollen.

Bei aller internationaler Zusammenarbeit wollte Schindler klarstellen, dass der BND "für deutsche Interessen arbeitet". Das G10-Gesetz zur strategischen Fernmeldeaufklärung schütze "nur Deutsche und Ausländer in Deutschland", meinte der Chefagent, obwohl Verfassungsrechtler anderer Ansicht sind. Spionage gegen europäische Ziele "wäre daher kein Gesetzesverstoß, sondern eine Frage der politischen Bewertung".

Schindler betonte, dass alle Selektoren vor einem aktiven Einsatz in drei Stufen vom sogenannten Davis-System gefiltert würden. Dabei würden mittlerweile auch "deutsche Namen" geprüft. Dieses Konzept habe er zweimal im Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags vorgetragen. Die Ergebnisse seien vor einer möglichen Weitergabe noch einmal kontrolliert worden, um auszuschließen, dass ein Ziel etwa einen Kommunikationspartner angerufen habe, "der Grundrechtsträger ist".

Seit 2008 seien abgelehnte Selektoren in eine "Ablehnungsdatei" aufgenommen worden, erläuterte der frühere Fallschirmspringer. Deren Zweck sei es, ein erneutes Einspielen der Ziele zu verhindern. Im August 2013 seien nach der speziellen Prüfung zusätzliche Suchvorgaben in diese Datenbank aufgenommen worden. Diese Datei habe ein Kollege von ihm am 6. März dieses Jahres erstmals ausgedruckt und auf sein Geheiß hin im Bundeskanzleramt präsentiert, noch bevor er sie selbst zu Gesicht bekommen habe.

Ihn habe parallel die Bitte erreicht, ebenfalls in die Regierungszentrale zu kommen. Überrascht hat Schindler nach eigener Aussage vor allem die Größe der Ablehnungsliste. Deren Struktur und das Verfahren, wie die Datei "gefüttert" werde, sei ihm erst Tage später bekannt geworden.

Generell sei der BND derzeit "so leistungsfähig wie nie zuvor", gab der BND-Präsident im Gegensatz zum Abteilungsleiter Technische Aufklärung des Dienstes zu Protokoll, der zuvor Lücken bei der Internetspionage gesehen hatte. 19 Anschläge auf die Bundeswehr habe man verhindern können, sagte Schindler. Die Erfolge beruhten aber auf der "unverzichtbaren" internationalen Zusammenarbeit insbesondere mit der NSA. Ohne diese "könnten wir unseren Auftrag nicht erfüllen". So sei der BND aktuell etwa im Nordirak auf Technik der USA angewiesen.

Die Kooperation drohe aber "nachhaltig Schaden zu nehmen", gab der Behördenleiter zu bedenken. In Europa fänden bereits erste Besprechungen ohne den BND statt. Der Dienst habe in Bad Aibling auch nicht die Reißlinie gezogen bei Internet-Selektoren, sondern es sei genau andersherum gelaufen. Jahrelang habe der US-Partner den BND mit Technik und Know-how unterstützt, berichtete Schindler. Die Behörde und die Sicherheit Deutschlands profitierten am meisten davon: "Wir sind abhängig von der NSA. Sie ist unser Partner, nicht unser Gegner."

Die nun geführte Debatte über den Stellenwert des BND und dessen rechtliche Rahmenbedingungen bezeichnete der Geheimdienstler als "längst überfällig". Er habe sich nicht vorstellen können, "dass nach über 50 Jahren diese Grundlagen noch nicht ausdiskutiert sind." Die Agenten hätten ein Recht darauf, klare Vorgaben zu erhalten.

Inzwischen hat Schindler eine Kontrollgruppe unter Leitung der Datenschutzbeauftragten der Behörde eingeführt, die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff zu regelmäßigen Besuchen bei der Abteilung Technische Aufklärung gebeten, das Davis-System erheblich erweitert und eine "Beweislastumkehr" beim Einstellen von Selektoren eingeführt.

Auch das "Abschottungsprinzip" will er durchbrechen, sodass eine Außenstelle auch nicht mehr sofort davon ausgehe: "Wir regeln das selbst." Er habe nach Snowden unterstrichen, dass "jetzt die Stunde ist, alles offen zu legen". Dies habe dazu geführt, "dass alles gemeldet wird". Ihm sei nicht bekannt, dass diese Ansage auf bestimmter Ebene gestoppt werde. (jk)