Der große Bruder reagiert genervt

Die US-Geheimdienste sind offenkundig sauer über das deutsche Ansinnen, in der Spähaffäre ihre Karten aufzudecken. Berlin gilt nach Medienberichten als unsicherer Kantonist.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 467 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • dpa

Ist Deutschland für amerikanische Ausspäher "ab sofort verstärkt Operationsgebiet", wie die "Bild am Sonntag" gestern aus US-Geheimdienstkreisen zitierte – also fast schon ein Gegner? Oder arbeiten die USA "in allen internationalen Fragen eng mit Deutschland zusammen, und die Deutschen sind unersetzliche Partner", wie am Wochenende ein Regierungsvertreter in Washington versicherte? Wenn man den von interessierter Seite verbreiteten Informationen über das deutsch-amerikanische Spannungs-Verhältnis glauben darf, wird der Ton in der neuen Geheimdienstaffäre rauer.

Washington nervt es, dass mit der SPD eine deutsche Regierungspartei seit Wochen von den Geheimdiensten beider Länder verlangt, in punkto Ausspähung die Hosen herunterzulassen. Konkret geht es darum, ob eine brisante Liste mit E-Mail-Adressen und Telefonnummern auch gegen den Willen der USA vom Bundestag geprüft werden kann. Diese Selektoren-Aufstellung, mit deren Hilfe auch Europäer und sogar Deutsche ausgeforscht werden sollten, hatte die National Security Agency (NSA) dem Bundesnachrichtendienst (BND) übermittelt.

Nach SPD und Opposition erhöhen offenkundig auch die US-Geheimdienste den Druck aufs Kanzleramt, mit – logisch – völlig entgegengesetzten Zielen. US-Geheimdienstdirektor James Clapper soll laut "Bild" vor Wochen die Weisung erteilt haben, die Zusammenarbeit mit dem BND zu prüfen, gegebenenfalls auch einzustellen – weil auf die Deutschen beim Schutz geheimer Dokumente kein Verlass mehr sei. Die Amerikaner hätten schon gemeinsame Projekte und geplante Kooperationen gestoppt.

"Was die deutsche Regierung da veranstaltet, ist gefährlicher als die Snowden-Enthüllungen", soll ein US-Geheimdienstmitarbeiter gesagt haben. Dass geheime US-Dokumente aus dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags ständig an Medien gegeben würden, schade den Interessen seines Landes, beklagt Clapper den Berichten zufolge.

Ein Berliner Regierungssprecher zog sich am Pfingstwochenende auf das übliche Ausweichmanöver zurück: "Die Bundesregierung misst der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit mit den USA im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger große Bedeutung bei." Über Details äußere man sich "nicht öffentlich, sondern gegenüber den zuständigen parlamentarischen Gremien". Zum großen Ärger nicht nur der Opposition ist dies schon seit Wochen Regierungslinie.

Die stellvertretende Leiterin des Bundespresseamtes, Christiane Wirtz, brachte am Freitag nach intensiven Journalistenfragen den Zielkonflikt auf den Punkt. Es gehe darum, "dass wir in Deutschland auf Geheimdienste nicht verzichten können, dass es darum geht, 80 Millionen Bundesbürger zu schützen, und dazu Geheimdienste notwendig sind. (...) Insofern ist auch die Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten notwendig." Das sei die Devise von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die derzeit oft mit einem Zitat vom Oktober 2013 konfrontiert wird: "Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht."

In diesem "Spannungsfeld" (Wirtz) mit widerstreitenden Interessen – Schutz vor Terror versus Datenschutz und Privatsphäre – sind die Spitzenpolitiker in Merkels großer Koalition gefangen. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte an Pfingsten der "Welt am Sonntag": "Wir können und wollen es uns nicht leisten, die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Diensten zu kündigen. Die Welt ist in den letzten Jahren doch nicht sicherer geworden. (...) Wir verdanken den Amerikanern wichtige Hinweise." Sicherheitsexperten verweisen darauf, dass Deutschland trotz aller Gefährdungslagen bisher von großen Terroranschlägen verschont geblieben sei.

Trotz solch pragmatischer Argumente liefert die Spähaffäre auch weiter willkommenen Stoff für die Profilierung im Koalitionsstreit. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi setzte dem Kanzleramt eine Art Frist bis zum 8. Juni für die Offenlegung der NSA-Spähliste – notfalls auch gegen den Willen der USA. Ihr CSU-Kollege Andreas Scheuer reagierte prompt mit einer Gegenforderung an den SPD-Chef und Vizekanzler: "Sigmar Gabriel muss jetzt den Wirrwarr in seiner Partei beenden und sich klar auf die Seite der Regierungsverantwortung stellen." Denn Fahimi betreibe nur "parteiinterne Opposition".

Schwarz-rote Scharmützel also. Spannender dürfte es werden, wenn Kanzlerin Merkel und US-Präsident Barack Obama in zwei Wochen beim G7-Gipfel in Oberbayern womöglich über die NSA/BND-Spähaffäre reden. (hob)