Staatsschutzanhörung: Geheimdienstrecht in "beklagenswertem Zustand"

Sachverständige haben den Gesetzentwurf, mit dem die Bundesregierung Geheimdienstbefugnisse ausweiten will, scharf kritisiert. Sie warnen vor verfassungsrechtlichen Problemen und mangelhaften Regeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 36 Kommentare lesen
Staatsschutzanhörung: Geheimdienstrecht in "beklagenswertem Zustand"

(Bild: dpa)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Rechtswissenschaftler und Anwälte haben in einer Anhörung im Bundestag schwere Bedenken gegen einen Gesetzentwurf vorgebracht, mit dem das Bundeskabinett die "Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes" verbessern will. Er weise "in vieler Hinsicht verfassungsmäßige Mängel" auf, "greift an vielen Punkten zu kurz" und setze "in keinem Punkt" Empfehlungen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Parlaments um. Auch die "Systematik" des Gesetzes für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) werde mit neuen Verweisketten "immer schlimmer".

Mit dem Gesetz könne ein "umfassender Datenverbund der Verfassungsschutzbehörden" errichtet werden, erklärte der Karlsruher Staatsrechtler Matthias Bäcker. Die bisherige bloße Indexfunktion der Datei Nadis solle um Volltextdateien ergänzt werden, in der "beliebig viele Daten jeglicher Provenienz" gespeichert und ausgewertet werden dürften. Dabei sei "kaum noch eine Grenze zu erkennen". Ein solcher Pool sei "nicht mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu vereinbaren".

Die "strategische Fernmeldeüberwachung" des Bundesnachrichtendiensts (BND) solle ausgedehnt werden auf Angriffe auf IT-Systeme, monierte Bäcker weiter. Dass diese Befugnis sich sogar auf Cyberattacken "krimineller Art" beziehen solle, "geht eindeutig zu weit" und werde vor dem Bundesverfassungsrecht keinen Bestand haben. Dies gelte auch dafür, Informationen an Polizeien weitergeben zu dürfen. Insgesamt befinde sich "das Nachrichtendienstrecht in beklagenswertem Zustand". Es sei bedauerlich, dass das Gesetz da keine Abhilfe schaffe.

Der Berliner Anwalt Sebastian Scharmer, der Angehörige eines Opfers im Münchner NSU-Prozess vertritt, distanzierte sich von den geplanten neuen Regeln für V-Leute. So bleibe es möglich, "erheblich vorbestrafte Neonazis anzuwerben". Faktisch werde auch eine im Amt begangene Strafvereitelung legitimiert. Bei Betroffenen der NSU-Anschläge herrschten so "Unverständnis und Wut über dieses Vorhaben". Diese wehrten sich dagegen, dass das geplante Gesetz "mit ihrem Leid begründet werden soll".

"Viele der vorgeschlagenen Regelungen bleiben mangelhaft", konstatierte der Berliner Rechtsprofessor Hartmut Aden. So sei es etwa viel zu unbestimmt, dass das BfV für alle "gewaltgeneigten Bestrebungen" auch auf Länderebene zuständig werden solle. Observationen durch den Staatsschutz könnten mit "sehr schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden sein", sodass dafür eine Spezialnorm erforderlich wäre. Gesetzlich festgeschrieben werden müssten auch Vorgaben, um geheimdienstliche Verfahren transparenter zu machen.

Es könne zwar richtig sein, die Inlandsgeheimdienste stärker kooperieren zu lassen und Analysemöglichkeiten zu verbessern, meinte der Bayreuther Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff. Der Gesetzgeber greife hier nicht blind in Grundrechte ein. Trotzdem seien etwa der Umfang des neuen Informationsverbunds oder die erweiterte Fernmeldeaufklärung "verfassungsprozessual nicht risikolos". Als "ein bisschen wenig" wertete Wolff den Ansatz, dass Zugriffe auf Nadis künftig protokolliert werden müssten. Hier wäre es denkbar, eine unabhängige Kontrolle einzuführen.

Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, stellte sich hinter den Entwurf. "IT nur als Aktenhinweissystem zu nutzen, ist die Welt des letzten Jahrhunderts", meinte der Praktiker. Nadis sei das Mittel, "um bisher unentdeckte relevante Zusammenhänge erkennbar zu machen". Die vorgesehene Protokollierungspflicht gewährleiste die "volle Datenschutzkontrolle". V-Leute seien zwangsläufig in einem "wenig rechtsstaatstreuen Milieu zu finden", räumte Maaßen ein. "Größere und kleinere politisch motivierte Delikte werden vorkommen." Trotzdem sicherten die Bestimmungen eine ausgewogene Balance.

Gegen Anträge der Opposition, das BfV abzuschaffen, wandte sich der frühere Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD): "Es braucht eine Stelle, die verfassungsfeindliche Bestrebungen beobachtet." Es bestünde aber das Problem, "dass wir zu viel sammeln". Der Rechtsanwalt Wolfgang Roth begrüßte das Vorhaben ohne Abstriche.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff war zum Bedauern von Oppositionspolitikern nicht geladen worden und konnte so nicht vor Ort auf die "erheblichen verfassungsrechtlichen Probleme" hinweisen, die sie in dem Entwurf ausgemacht hat. Die CDU-Rechtspolitikerin moniert in ihrer Stellungnahme wie Bäcker, dass die Regierung unbegrenzte Volltextdateien in Nadis zulassen wolle. Davon könnten auch "unbeteiligte Dritte" betroffen sein. Voßhoff reibt sich auch daran, dass Staatsschützer Daten austauschen können sollen, wenn diese bloß "relevant" für ihre Arbeit sind. Das Trennungsprinzip zwischen Polizei und Geheimdiensten werde nicht eingehalten. (anw)