Abschied vom Klonen
Japanische und US-Forscher haben humane Hautzellen zu embryonalen Stammzellen reprogrammiert und so eine ethisch unbedenkliche Gewinnungsmethode aufgezeigt.
- Veronika Szentpetery-Kessler
Derzeit geht es in der Stammzellforschung wieder Schlag auf Schlag. Innerhalb von zwei Wochen gab es in renommierten Fachblättern gleich drei Bahn brechende Veröffentlichungen zu einem Thema, das die Gemüter von Forschern, Politikern, Kirchenvertretern und der Öffentlichkeit stark bewegt: die Gewinnung von embryonalen Stammzellen. Die Wandlungskünstler sind Objekte der wissenschaftlichen Begierde, weil sie pluripotent sind – sich also in alle spezialisierte Gewebetypen des Körper entwickeln können. Forscher hoffen, mit ihrer Hilfe Therapien gegen Krankheiten wie Krebs, Diabetes, Parkinson, Alzheimer oder Herzinfarkte entwickeln zu können. Doch ihre Gewinnung ist aus ethischen Gründen stark umstritten, weil sie bislang nur aus wenige Tage alten – durch therapeutisches Klonen erzeugten – menschlichen Embryonen extrahiert werden konnten, die dabei absterben.
Jetzt haben japanische und US-Forscher eine ethisch unbedenkliche Form der Gewinnung von menschlichen Zellen beschrieben, deren Eigenschaften denen von embryonalen Stammzellen sehr nahe kommen. Einer der Hauptakteure ist Shinya Yamanaka von der Universität Kyoto, der Asien nach dem Hwang-Skandal wieder eine Führungsrolle in der Stammzellforschung verschafft hat. Vor knapp zwei Wochen ließ seine Gruppe die Fachwelt aufhorchen, als sie im Fachjournal Cell davon berichtete, dass sie Hautzellen einer 36-jährigen Frau durch das Einschleusen von lediglich vier Genen so umprogrammiert hat, dass sie fast alle Eigenschaften von embryonalen Stammzellen aufwiesen.
Den Beweis dafür, dass die verjüngten Zellen tatsächlich auch pluripotent sind, lieferten die japanischen Forscher in ersten Folgeversuchen gleich mit: sie brachten sie durch verschiedene Wirkstoffcocktails erfolgreich dazu, sich in Herz-, Muskel-, Knochen- und Nervenzellen zu differenzieren. Damit wiederholten sie den Erfolg, den sie im vergangenen Jahr nach der gleichen Methode bereits mit Mäuse-Hautzellen erreicht hatten.
Die Publikation ist eine wissenschaftliche Sensation. Wenn andere Forscher die Ergebnisse bestätigen und künstlich verjüngte menschliche Körperzellen sich als ebenso guter Rohstoff erweisen wie die echten embryonalen Stammzellen, dürfte die Methode das therapeutische Klonen (die Erzeugung von embryonalen Stammzellen durch Kerntransfer) und damit die ebenfalls umstrittenen wie mühsamen Eizellspenden verdrängen. Ein erstes Anzeichen dafür und für die Bedeutung von Yamanakas Ergebnissen lässt auch daran ablesen, dass sich Klonforscher und Dolly-Schöpfer Ian Wilmut bereits öffentlich vom therapeutischen Klonen abgewandt und sich dem Verfahren des Japaners verschrieben hat.
Der Wettbewerb zur Suche nach dem nächsten Stammzellen-Gral hat aber nicht nur die Forscherwelt erfasst – auch die Fachzeitschriften wetteifern um Beiträge mit möglichst großer Durchschlagkraft. So zog das Magazin Science die Veröffentlichung eines ähnlichen Durchbruchs zwei Tage vor, um nicht hintenan zu stehen: Das Forscherteam von James Thomson von der University of Wisconsin hatte ebenfalls Körperzellen – in diesem Fall Bindegewebszellen aus der Vorhaut eines neugeborenen Jungen – durch das Einschleusen von vier Genen biologisch verjüngt. Die US-Auswahl stimmte aber nur zur Hälfte mit der japanischen Kombination überein – Thomson verzichtete anders als Yamanakas Gruppe auf das c-Myc-Gen, das als Krebsgen gilt und die Bildung von Tumoren auslösen kann.
Das Problem hatte Yamanaka allerdings auch erkannt. Medienwirksam legte er bereits eine knappe Woche später Ende November in Nature Biotechnology nach: er wiederholte die Umprogrammierung der Mäuse-Hautzellen, indem er das c-Myc-Gen einfach wegließ. Es entstanden zwar weniger Alleskönner-Zellen, dafür blieben die Labormäuse, denen sie eingepflanzt wurden, in den ersten hundert Tagen tumorfrei. Von den Vergleichstieren, die die c-Myc-Variante erhalten hatten, erkrankten in dieseer Zeit sechs an Krebs. Auch bei den menschlichen Hautzellen gelang Yamanaka die krebsgen-freie Rückverwandlung, wenngleich weit weniger erfolgreich nur in der Hälfte der Fälle.
Noch ist offen, ob induziert pluripotenten Stammzellen wirklich das gleiche Potenzial wie embryonale Stammzellen haben und ob sie sich in alle gewünschten Gewebearten differenzieren lassen. Der Weg zu einer klinischen Anwendung ist ebenfalls noch weit. Doch der Durchbruch zu einem ethisch unbedenklichen Weg zur Erzeugung von pluripotenten Stammzellen scheint geschaffen. Wenn sie sich in Therapien bewähren, werden die Mediziner zudem ein weiteres Hauptproblem des gegenwärtigen Erzeugungsmethode mit gespendeten Eizellen lösen können: die Verjüngung körpereigener Zellen zu Stammzellen umgeht das Abstoßungsproblem, eine lebenslange Gabe von Immunsupressiva wäre nicht nötig. (wst)