Forcierter Flohmarkt

Früher war Sentimentalität mit mühsamem Suchen verbunden. Heute gleiten wir mit Hyperspeed durch die Keller und Dachböden des Planeten.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

“Man muß als Mann den Ernst wiederfinden, den man als Kind beim Spielen hatte” – der Satz von Nietzsche hat eine tiefe Wahrheit. Tatsächlich bringt einen der Weg ins Leben erst einmal von den wunderbaren Welten der Kinderzeit ab. Man erwächst. Spiele, Bücher, Musik, Kleider, Geschmack, alles verändert sich und wird mit erwachsen. Wie Raupenhüllen legt man den ganzen Kinderkram ab. Neue Dinge treten an seine Stelle, Laserpointer, Personenkraftwagen, gebrauchte Jagdflugzeuge. Fruchtbunte Fröhlichkeit weicht einer gedeckten Gemessenheit. Die Zeiten vergehen wie Wellen auf einem Teich, in den man Kiesel geworfen hat.

Dann irgendwann kommt der Tag, an dem man zum ersten Mal dieses Gefühl hat, dass eigentlich jeder Mensch, wenn er geboren wird, einen Lagerraum zur Begrüßung geschenkt bekommen sollte. In dieses Lager werden alle Dinge gebracht, die ihre Zeit für’s erste gehabt haben. Wie geologische Schichtungen sammeln sich Sachen aus den verschiedenen Lebensaltern in diesem Raum. Sie verstauben. Und so leicht und weich wie der Staub nimmt dann mit den Jahren eine Zuneigung Gestalt an, die erstaunlich neu und gleichzeitig angenehm altbekannt ist. Manche der Dinge scheinen neue Kraft geschöpft zu haben. Sie beginnen wieder verheißungsvoll zu schimmern.

Diese zweite Chance bekamen alte Dinge früher auf passive Weise. Bevorzugt auf Flohmärkten oder Sammlerbörsen geriet man zufällig in den Sog einer miniaturisierten Zeitreise, wenn einem wie aus einer anderen Welt ein kleines Stück Vergangenheit in die Hand fiel. Plötzlich lag da in einem Durcheinander aus alten Messingtürklinken das kleine Sputnik-förmige Transistorradio, mit dem man vor vielen Jahren unter der Bettdecke Radio gehört hatte...

Im Netzzeitalter finden solche Begegnungen heute zielgerichtet statt. Nach wie vor aber kann die Begegnung mit derlei Gegenständen kleine Liebeseruptionen auslösen. Unvermittelt ist man von dem Drang beseelt, einen nicht unerheblichen Betrag für ein muffig riechendes Groschenheft oder ein defektes analoges Aggregat hinzublättern. Ja, man hat lange Jahre hart gearbeitet, sich zu einem brauchbaren Rad im Getriebe gerundet, unmündige Computer durchgefüttert und, ja, nun hat man es sich aber auch mal verdient, eine Merkwürdigkeit zu begehen und noch einmal eine dieser leise klingelnden Spiralfedern zu erwerben und sie weich eine Treppe hinabfließen lassen wie eine riesige Raupe, und mit herabgeflossen kommt ein Tag, ein Jahr, ein Äon.

Man spürt aber auch die Gefahren. Etwa, dass der Funke beim Wiedersehen nach so langer Zeit nur noch einmal aufleuchtet und dann endgültig verglimmt. Alter Kram kann wundervoll sein, aber Wunder vollbringen kann er nicht. Gelungen ist die Wiederkehr, wenn man dann ab und zu vor seinem alten, zurückgeholten Ding sitzt wie vor einem offenen Kamin nach einem harten Tag. Vielleicht liegt da dann ein “Hobby”-Heft mit dem schnellen Raumkreuzer Orion VIII auf dem Titel vor einem, oder in dem revitalisierten Tapedeck dreht sich eine der Benjamin Blümchen-Kassetten, aus denen man früher gern das braunglänzende Magnetband gezogen hat und dem man sich nun endlich ernsthaft in ganzer Genußtiefe zuwenden kann. (wst)