IT-Fachkräftemangel trotz Run auf Green Card
Der Run auf die befristete Arbeitserlaubnis für Fachkräfte der Informationstechnologie hält im Südwesten unvermindert an. Der Mangel an Spezialisten dürfte aber noch einige Zeit anhalten.
Innerhalb weniger Tage sammeln sich hunderte Bewerbungen im E-Mail-Programm des Elektronik-Konzerns Alcatel in Stuttgart. Betreff: Green Card. Ziel: Computer-Job. Herkunft: Meist Osteuropa. Der Run auf die befristete Arbeitserlaubnis für Fachkräfte der Informationstechnologie hält im Südwesten unvermindert an. Inzwischen sind auch die ersten Green-Card-Inhaber in den Büros eingetroffen. Die übrigen Firmen warten ungeduldig. "Unter den vielen Meldungen sind aber nur wenige ernsthafte Kandidaten. Viele bewerben sich auf Knopfdruck überall", sagt Veronika Hucke, Sprecherin von Alcatel. "Damit werden wir unseren Einstellungsbedarf nicht decken können."
Zwar ging bis vor einer Woche mit 81 Genehmigungen fast jede fünfte deutsche Green Card nach Baden-Württemberg. Die Lücke, die im Land bei IT-Fachleuten klafft, ist aber weitaus größer. "Wir haben 150 Green Cards bei den Arbeitsämtern beantragt", sagt der Arbeitsdirektor von Hewlett-Packard, Fritz Schuller. "Wir wären höchst zufrieden, wenn wir davon 20 bis 30 abbekommen." Etwa 450 Stellen im IT-Bereich seien bundesweit bei HP zu besetzen. "Wir haben die Ausbildung in den vergangenen drei Jahren verdoppelt. Damit sind wir an der Obergrenze unserer Kapazität angelangt", betont Schuller.
Die großen Software- und Elektronik-Konzerne im Land verweisen einhellig auf stark steigende Ausbildungsstellen im engeren IT- Bereich. Von 1998 auf 1999 nahmen die Neuabschlüsse landesweit um rund ein Drittel zu, von 1997 auf 1999 sogar um mehr als 200 Prozent. Doch Michael Ruhkopf von der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) will sich von diesen Zahlen nicht blenden lassen: "Die Ausbildung im IT-Bereich befindet sich immer noch auf einem sehr niedrigen Niveau – im Vergleich zu anderen Branchen und mit Blick auf den zukünftigen Bedarf." Auch Manfred Wörner vom Statistischen Landesamt relativiert: "Das starke Wachstum ergibt sich, weil es von null auf hundert geht." Derzeit lägen nur etwas mehr als zwei Prozent der neuen Ausbildungsplätze in Baden-Württemberg im engeren IT-Bereich. Viele junge Menschen wählten weiterhin eher traditionelle Karrieren. Ruhkopf bemängelt, dass vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen zu wenig Azubis einstellten. Bei einem Erfolg der Green Card-Kampagne könnte das Thema Ausbildung weiter ins Hintertreffen geraten, befürchtet der Gewerkschafter.
"Zur Ausbildung bleibt uns im Moment keine Zeit", bestätigt Holger Siedler vom Stuttgarter Software-Unternehmen abaXX Technology. Vor einem Jahr begann Abaxx mit drei Leuten. Heute arbeiten dort 140 und in drei Jahren sollen es 600 sein. "Der Mangel an qualifiziertem Personal ist bei uns das einzige Wachstumshemmnis", sagt Siedler. Die Firma stellte vor kurzem den ersten Green Card- Bewerber in Stuttgart ein, einen Inder. Der Wettbewerb der Firmen um die Green Card-Kandidaten ist groß. Der Computerkonzern IBM schaltet deshalb auch Stellenanzeigen in Polen. "Als internationales Unternehmen können wir auch ausländische Kollegen auf Abordnung bekommen", sagt IBM-Sprecher Thomas Mickeleit. Alcatel bemüht sich ebenso, Mitarbeiter aus Schwestergesellschaften einzustellen, unter anderem aus Rumänien.
"Die Green Card hilft vor allem kleineren Unternehmen", meint Mickeleit. Ein Vorteil habe die Neuerung jedoch für alle: "Allein durch die Debatte sind die Erstsemester-Zahlen in naturwissenschaftlich-technischen Fächern und Informatik sprunghaft gestiegen." Schuller von HP sieht in der Green Card zudem einen Beitrag, Deutschland internationaler zu machen: "Wir können nicht exportieren und gleichzeitig unsere Grenzen verrammeln." (Carsten Wieland, dpa) (jk)