Media Bias: "Guter Journalismus ist gemeinnützig"

Wie kann die Vielfalt der Medien erhalten werden? Und wie vielfältig sind sie heute tatsächlich? Auf einer Konferenz an der Kölner Universität wurden die Fragen von Wissenschaftlern und Regulierern debattiert.

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vielfältige Medien
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
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Seit alle Medienarten durch das Internet zusammenwachsen, sorgen sich die Regulierer darum, wie man den Bürgern neben Unterhaltung auch qualitative Informationen vermitteln kann. Auf der Jahrestagung der Institute für Rundfunkrecht und Rundfunkökonomie der Universität Köln wurden die verschiedenen Aspekte des "Media Bias" debattiert.

Die Medienaufsicht in Deutschland ist auf zahlreiche Behörden verteilt.

Die künstliche Spaltung der Medienwelt und ihre kuriosen Auswüchse werden zum Beispiel an den Werbevorschriften deutlich. So schilderte Roland Bornemann, Leiter des Bereichs Recht der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien, die unterschiedlichen Gesetze, die allesamt das Trennungsgebot zwischen Werbung und redaktionellen Inhalten durchsetzen sollen: 16 Landespressegesetze, Rundfunkstaatsvertrag, Telemediengesetz und das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb.

Je nachdem, zu welcher Kategorie ein Werbeangebot gehört, sind die Pflichten für die Betreiber unterschiedlich deutlich ausformuliert. Wird ein Online-Angebot zum Beispiel als "fernsehähnlich" eingestuft, muss es erheblich strengere Werbevorschriften beachten und ausgewogen berichten.

Angesichts der Welle an werblichen YouTube-Videos scheinen die Medienwächter jedoch zu kapitulieren. "Staatliche Behörden werden bei Impressumsverstößen und bei Rechtsradikalismus aktiv, ansonsten habe ich den Eindruck, dass sie bei Telemedien inaktiv sind" sagte Bornemann. Diesen Eindruck bestätigte Doris Brocker von der Landesanstalt für Medien NRW. So habe man bei vielen YouTube-Kanälen unzulässige Werbepraktiken beobachtet. Statt die unerfahrenen YouTube-Stars mit Aufsichtsverfahren zu überhäufen, wolle man nun erst das Gespräch mit den Vermarktern suchen, die diese Werbeplatzierungen arrangierten.

Waren die klassischen Regelungssysteme darauf ausgerichtet, Manipulation der Meinungsbildung zu bekämpfen und Vielfalt zu erhalten, hat sich die Grundlage nun elementar verändert. Angesichts von Millionen Webangeboten scheint es kurios, dass sich der Staat darum sorgen sollte, dass plötzlich eine Knappheit ausbrechen könnte. Doch viele Medien bedeuten nicht unbedingt Vielfalt.

Volker Lilienthal kritisierte den klickstarken Kampagne-Journalismus

So entsteht Medien-Bias nicht unbedingt durch Manipulation von und durch Medien – oft entsteht einseitige Berichterstattung durch das Zusammenspiel zwischen Publikum, Verlagen und den ökonomischen Rahmenbedingungen. Redaktionen müssen sich unter dem Kostendruck auf Geschichten konzentrieren, die schnell zu recherchieren und einfach zu illustrieren sind. Emotionalisierende Überschriften werden am häufigsten angeklickt. Ohne zentrale Steuerung können sich so medienübergreifende Kampagnen entwickeln. Soziale Medien können diesen Effekt sogar noch bestärken.

Inwieweit sich diese Tendenz auch politisch bemerkbar macht, ist noch unklar. Insbesondere die amerikanische Presselandschaft werde immer wieder nach systematischen Verzerrungen untersucht - allerdings ohne schlüssige Ergebnisse. Auch bei den neuen Online-Medien in den USA ließen sich demnach keine eindeutige Tendenz feststellen – auch wenn sie stärker zu Extrempositionen neigten als etabliertere Angebote und die Manipulationsmöglichkeiten viel größerseien. So wurde zum Beispiel festgestellt, dass die Webseiten von Skiressorts an Wochenenden systematisch höheren Schneefall meldeten, um Kurzzeiturlauber anzulocken.

Sorgen bereitet dem der Kölner Medienökonom Johannes Münster indes eine andere Verzerrung: Es lasse sich eine eindeutige Tendenz zum Sensationellen und Banalen feststellen. So entschieden sich Blogger, die unmittelbar am Gewinn ihrer Artikel beteiligt wurden, sehr viel häufiger für Sex- und Crime-Geschichten und ließen gesellschaftlich relevante oder konfliktträchtige Geschichten rechts liegen. Auch bei den etablierten Medien ist die Tendenz zur bildgewaltigen Sensation ökonomisch nachweisbar. Eine Dürre müsse 40000 Todesopfer fordern, damit sie das gleiche Ausmaß der Berichterstattung erfährt wie ein Vulkanausbruch mit einem einzelnen Todesopfer. Folge: Hilfsgelder werden in die falsche Richtung geschickt, verheerende Katastrophen ignoriert.

Der Drang zur Bebilderung wird auch gezielt zur Propaganda ausgenutzt. So tauchen die Videos des "Islamischen Staats" immer wieder in westlichen Nachrichtensendungen auf. Für Volker Lilienthal, der an der Hamburger Universität über die Praxis des Qualitätsjournalismus forscht, ist das schwer erträglich. Er plädierte dafür, auf solche Bilder möglichst zu verzichten. Doch in der Praxis sähe es anders aus: "Je überforderter ein Journalist ist, um so durchlässiger wird der Journalismus für Einflüsterungen", glaubt Lilienthal. Der ehemalige Medienjournalist forderte staatliche Unterstützung für Journalismusprojekte wie zum Beispiel Blogs, die sich der Lokalberichterstattung widmen. "Journalismus in seiner besten Form ist gemeinnützig", sagte Lilienthal.

Das mediale Überangebot hat eine weitere Folge: "Man kann den Nachrichten nun besser ausweichen", sagte Münster. Informationen, die früher per Zeitung oder Fernsehnachrichten verteilt wurden, erreichen die Bevölkerung nicht mehr in dieser Breite. Das hat auch Folgen für die Politik: So wurde in einer Studie festgestellt, dass die Wahlbeteiligung in deutschen Regionen signifikant sank, sobald dort DSL eingeführt wurde.

Wo die traditionellen Medien zurückgedrängt werden, versuchen andere Kreise Meinungshoheit zu erlangen. Der Politikwissenschaftler Simon Hegelich von der Universität Münster hatte beispielsweise über statistische Methoden ein Netzwerk von Twitter-Bots identifiziert, die die Plattform mit Nachrichten zum Ukraine-Konflikt fluteten. Dabei gingen die Auftraggeber recht subtil vor: "Die Bots reden über alles mögliche: über Sport und Nachrichten", erklärte Hegelich. Mit sexistischen Bildern und Links auf illegale Downloads versuchten die Betreiber Follower zu gewinnen. Auf Kommando schwenkten die Bots dann auf ein Thema ein und verbreiteten Nachrichten, die urainischen Ultranationalisten unterstützten. Wer tatsächlich hinter dem Botnetz steckt und ob so die öffentliche Meinung beeinflusst werden kann, muss noch erforscht werden.

Bei solchen Analysen setzen Medienforscher verstärkt auf Big-Data-Analysen und selbstlernende Algorithmen. Angesichts der Komplexität des Diskurses stoßen Computer aber noch relativ schnell an ihre Grenzen: Während über Computeranalysen mittlerweile recht gut Beleidigungen oder sexistische Werbung erkannt werden können, ist die Frage nach Neutralität komplexer. "Media Bias ist anders als Hate Speech", erklärte Christian Baden, der an der Universität von Jerusalem forscht. So können über statistische Methoden recht gut Abweichungen vom Üblichen gemessen werden. "Das Übliche muss aber nicht korrekt sein", sagte Baden. (uk)