Psychotherapie ohne Wartezeit

Online-Therapien können Menschen mit depressiven Verstimmungen und anderen psychischen Problemen helfen – zu Hause am Computer. Immer mehr Studien zeigen, dass sie nicht minder wirksam als Sitzungen beim Therapeuten sind. Wie funktioniert das? Unsere Autorin hat sich behandeln lassen.

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Von
  • Susanne Donner

Online-Therapien können Menschen mit depressiven Verstimmungen und anderen psychischen Problemen helfen – zu Hause am Computer. Immer mehr Studien zeigen, dass sie nicht minder wirksam als Sitzungen beim Therapeuten sind. Wie funktioniert das? Unsere Autorin hat sich behandeln lassen.

Die Zeiten, in denen psychisch Kranke ihren Therapeuten zum Gespräch treffen mussten, sind vorbei. Im Netz kursieren Dutzende von Universitäten und Firmen entwickelte Online-Kuren. Viele Anbieter versprechen schnelle Genesung, nur ein paar Klicks entfernt. Das klingt angesichts der mehrmonatigen Wartezeiten auf einen Therapietermin erst mal verlockend. Aber können Online-Therapien wirklich helfen? Und wenn ja, wie sorgfältig gehen sie auf die Probleme der Patienten ein, wie wirksam sind sie, und wo sind ihre Grenzen?

Am 19. Mai 2014 entscheide ich mich zu einem Selbstversuch: für eine Online-Therapie gegen Niedergeschlagenheit. Ich bin zwar weder depressiv noch sonst psychisch therapiebedürftig. Aber hin und wieder fühle ich mich durchaus gestresst und wenig unternehmungslustig. Das Internet-Programm Get.on Stimmung der Universitäten Lüneburg und Amsterdam ist genau das, was ich suche: Ein Präventionsprogramm, das einer Depression vorbeugen soll. Vielleicht hilft es auch mir, schwierigere Momente zu meistern. Forscher prüfen die Therapie gerade in einer klinischen Studie. Wenn sie hilft, könnte sie eines Tages kommerzialisiert werden. Ich bewerbe mich um eine Teilnahme an der Studie.

Ich weiß aus vielen klinischen Studien, dass solche Online-Therapien prinzipiell recht wirksam sein können. Ergebnisse zahlreicher Untersuchungen mit insgesamt weit mehr als 3000 Teilnehmern zeigen, dass sie besonders gegen leichte und mittelgradige Depressionen und Angsterkrankungen wie Flugangst und Spinnenphobie helfen. Depressive Symptome nehmen ab, die Probanden wurden aktiver und munterer. Sogar dem Rückfall einer leichten oder mittelgradigen Depression kann die Kur am PC einer Studie zufolge vorbeugen. Aber auch bei Traumata, Schlafstörungen, Zwangserkrankungen und Essstörungen berichten Forscher eine Linderung der Symptome. Neuere Studien zeigen zudem Erfolge bei Alkohol- und Drogenabhängigkeit.

„Platt gesprochen schießt man da die Flaschen mit Alkoholika vom Bildschirm und wird dafür belohnt“, berichtet Heino Stöver, Direktor des Instituts für Suchtforschung in Frankfurt. Was unglaubwürdig klingen mag, hat eine fundierte Erklärung: „Unser Verhalten beruht auf sehr vielen Automatismen, die mithilfe solcher verhaltenstherapeutischer Ansätze am Computer umgelernt werden können.“ Bisher galt, dass sich Abhängige nur in Kliniken von ihrem Laster befreien lassen. Ob Internet-Therapien das Verlangen dauerhaft lindern können, steht zwar noch nicht abschließend fest. Aber mehrere Studien an insgesamt mehr als 1500 Patienten zeigen erstaunliche Erfolge: Nach einer Online-Behandlung konsumieren Alkoholabhängige sogar weniger Alkohol als nach einer herkömmlichen Entzugstherapie.

Aber einige wichtige Informationen geben die Studien nicht: Was kommt auf Betroffene zu, die sich per Internet in die Therapie einwählen? Wie ist es, vor einem Computer seine Gemütslage auszubreiten? Das will ich wissen. Als ersten Schritt muss ich einen Online-Fragebogen ausfüllen. Auf die Frage, wie meine Gefühlslage in der vergangenen Woche meist war, antworte ich unter anderem: Ich habe mich öfters deprimiert und niedergeschlagen gefühlt, meistens/die ganze Zeit hatte ich Angst, und alles war anstrengend für mich. Ein wichtiger Pluspunkt zeigt sich schon bei dieser Erstbefragung: Sie wollen wissen, ob ich schon mal an Selbstmord gedacht habe. Ernsthafte Suizidabsichten wären ein Ausschlusskriterium für Online-Therapien. In diesem Fall müssten die Betreiber sofort einen Notdienst informieren. Ich kreuze natürlich an, dass ich es nicht tun würde. Später wird mich eine Forscherin nochmals befragen, ob ich wirklich geeignet bin. Auch das spricht für die Seriosität der Therapie und entspricht der Forderung von Medizinern an Kuren im Web. Längst nicht alle prüfen ihre Klienten vorab.

Endlich, am 30. Oktober, findet das Telefongespräch mit einer Psychologin statt. Sie stellt nahezu dieselben Fragen, die ich bereits schriftlich beantwortet habe. Ich erzähle ihr, dass ich nicht gut schlafe, antriebslos bin und meine Familie und Freunde öfter vernachlässige, als mir lieb ist. Ich werde in die Studie aufgenommen.

(rot)