Der ewige Fehler

Computer sind schnell und geräuschlos. Wenn ein Fehler auftritt, knirschen keine mechanischen Teile. Immer wieder erweist sich diese leise Weise jedoch als fatal.

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Von
  • Peter Glaser

Was sind Computerprobleme? Institutionalisierte menschliche Schwächen. Bislang gibt es keine mathematische Methode, um zu beweisen, dass eine beliebige Software fehlerfrei funktioniert. "Die meisten gegenwärtig verfügbaren Computerprogramme, vor allem die umfangreichsten und wichtigsten unter ihnen, sind nicht ausreichend theoretisch fundiert", schrieb der Welt bekanntester Computerkritiker Joseph Weizenbaum 1976 in seinem Standardwerk "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" .

Ihre Bauweise folgt Faustregeln, die unter den meisten vorhersehbaren Umständen zu "funktionieren" scheinen, und auf anderen Mechanismen, die von Zeit zu Zeit zusätzlich eingebaut werden: "Fast alle großen Computerprogramme (...) gehören dazu. Diese gigantischen Computersysteme sind in der Regel von Programmiererteams zusammengestoppelt worden (man kann wohl kaum sagen: konstruiert), deren Arbeit sich oft über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckt. Wenn das System gebrauchsfertig ist, haben die meisten der ursprünglichen Programmierer gekündigt oder ihr Interesse anderen Projekten zugewandt, so dass, wenn diese gigantischen Systeme schließlich benutzt werden, ihr innerer Ablauf von einem einzelnen oder einem kleinen Team nicht mehr verstanden werden kann."

Auf eine bestimmte Art erinnern diese Programme auch an die großen Epen aus der Frühgeschichte der Menschheit, die mündlichen Überlieferungen und wie die Mythen sich dabei veränderten, und natürlich auch an Übertragungsfehler und Stellen, deren ursprünglicher Sinn im Lauf der Geschichte verloren gegangen ist.

Das erste Lebewesen, das durch einen Computer zu Tode kam, war eine Motte. Im Juli 1944 hatte die damals 37jährige Grace Murray Hopper, Mathematikerin und US Navy-Lieutenant, an der Universität Harward mit dem ersten elektronischen Computer MARK I zu arbeiten begonnen. Sie war der dritte Mensch in den Vereinigten Staaten, der einen Computer programmierte und die erste Frau überhaupt. Das Elektronengehirn war mehr als 15 Meter lang, hatte 72 Byte Speicherplatz und konnte drei Additionen pro Sekunde ausführen. An einem heißen Augustnachmittag des Jahres 1945 fand Grace Hopper den ersten "bug".

"Wir hatten keine Klimaanlage", erinnert sie sich, "und die Fenster standen offen". Im Protokollbuch des MARK I-Nachfolgers MARK II ist um 15.25 Uhr der Start eines "Multi-Additions-Tests" verzeichnet. Neben dem nächsten Eintrag um 15:45 ist mit Klebstreifen ein Tier fixiert: "First actual case of bug being found. Relais #70, Schalttafel F – Motte im Relais." Das Insekt hatte einen Kurzschluss zwischen zwei Röhren ausgelöst. "Dann kam unser Vorgesetzter ins Zimmer und fragte, ob wir wohl auch ordentlich Zahlen schaufeln würden. Von da an sagten wir immer, wenn der Computer gerade nicht lief, wir seien dabei, bugs zu entfernen." Schon Ingenieure wie Edison hatten ihre Konstruktionsfehler "bugs" genannt. Seit Mrs. Hopper die Motte kriegte, tragen Software-Fehler die Bezeichnung und mit ihr die Fackel der Fehlerhaftigkeit weiter durch die Geschichte der Technik. Die Protokollbuch-Seite mit der Motte liegt heute im Marinemuseum in Dahlgren, Virginia.

1978 trat der Kampf "Bits gegen Atome" weitgehend unbemerkt in ein neues Zeitalter. In Japan wurde erstmals ein Mensch von einem Industrie-Roboter getötet; er hatte ohne Befehl plötzlich wild um sich geschlagen. 1979 kam dann der Arbeiter Robert Williams in einer Fabrik der Firma Ford durch einen Automaten ums Leben. 1981 wurde wiederum der Arbeiter Kanji Urata im japanischen Hyogo von einem im amerikanischen Connecticut unter Lizenz der Firma Kawasaki gebauten Roboter ins jenseits befördert – der Mann hatte den Sicherheitszzaun, der das System umgab, einfach übersprungen. Sein Pech: Hätte er den Zaun geöffnet, hätte sich die Maschine automatisch abgeschaltet.

Auch ohne Roboter kann Rechentechnik tödlich wirken. Am 5. Oktober 2007 wurde in einem texanischen Gefängnis der verurteilte 49-jährige Michael Richard exekutiert, nachdem eine Berufung wegen eines Computerfehlers nicht mehr pünktlich zugestellt werden konnte. Die zuständige Richterin war nicht bereit gewesen, die Deadline – in diesem Fall ein schaurig zutreffender Begriff – zu verschieben. Am selben Tag hatte eine höchstrichterliche Entscheidung in einem anderen Verfahren angestanden. Es wurde die Frage verhandelt, ob die Todesspritze der US-Verfassung widerspreche.

In dem für Richards zuständigen Gericht in Texas ging man davon aus, dass seine Anwälte im Anschluß an die Entscheidung in einer Berufung neue Argumente gegen die Hinrichtung vorbringen werden – einige der Richter blieben deshalb bis spät abends in ihren Büros. Die vorsitzende Richterin Sharon Keller legte allerdings, ohne sich mit ihren Kollegen zu beraten, den spätestmöglichen Termin für eine Berufung auf 17 Uhr fest. Richards Anwälte berichten, dass sie durch ein Computerproblem nicht in der Lage waren, die Unterlagen rechtzeitig auszudrucken und es daher nicht mehr schafften, sie bis Fünf ins Gericht zu bringen. Sie kamen 20 Minuten zu spät. Eine Berufung per E-Mail zuzustellen, ist nicht zulässig. Michael Richard wurde noch am Abend des selben Tags hingerichtet.

Niemand ist vor der fehleranfälligen Maschinerie sicher. In Österreich wurde ein 80-jähriger Priester von einem elektrisch betätigten Fenster eines Glashauses erdrückt. Als er sich an der Außenwand stehend durch ein geöffnetes Fenster beugte, hatte sich das elektronisch gesteuerte System einfach geschlossen.

Und wenn es auch keine echten Motten mehr sind, so haben sich doch andere still störenden Tiere in der Hardware eingerichtet. Als der Servicetechniker Mark Taylor aus der englischen Grafschaft Somerset im Februar einen Laptop nach einem Crash öffnete, fand er einen Regenwurm, der die Maschine gekillt hatte; der Wurm selbst war durch das überhitzte Gerät seinerseits entleibt worden. Taylor vermutete, dass ihn eine seiner beiden Katzen aus dem Garten mitgebracht hatte. (wst)