Effizientere Ineffizienz
Der Motorrad- und Autobauer Honda hat Japans Bauern mit einer Bonsai-Ackerfräse beschenkt, die von einem Gasmotor angetrieben wird. Nun können die Heerscharen der japanischen Teilzeitlandwirte ihre Agrarwirtschaft etwas effizienter betreiben.
- Martin Kölling
Der neue Honda-Chef Takanobu Ito hatte am Montag bei seiner ersten Pressekonferenz stolz drei Produkte neben sich platziert. Bei den ersten beiden war auf Anhieb zu erkennen, worum es sich handelte: Hondas neues Hybridauto Insight und ein rassiges Motorrad. Doch daneben stand ein Gerät, das irgendwie aussah wie ein Golfballsammler, aber doch keiner war. Die PR-Abteilung hatte es wohl mit Bedacht ausgewählt, um Ito wenigstens einmal in der Interviewstunde die Gelegenheit zu geben, über etwas anderes als über die Krise und andere zermürbende Fragen zu reden.
Als er nach dem merkwürdigen Gerät gefragt wurde, ergriff Ito die Gelegenheit dankbar beim Schopfe, sprang auf und pries in bester Verkäufermanier begeistert die neueste Innovation der Honda-Ingenieure vor: Die gasbetriebene Ackerfräse "Pianta FV200", mit dem Honda das Leben von 30 Millionen Kleinstbauern und Gärtnern vereinfachen und klimafreundlicher gestalten will.
Ein Clou des Geräts ist der extrem einfach austauschbare Tank: Es handelt sich um eine handelsübliche 250-Gramm-Butan-Gaskartusche, die Japaner gewöhnlich in den in fast allen Haushalten anzutreffenden Tischgasbrennern verwenden. Kartuschenhalter entnehmen, öffnen, Kartusche wechseln, schließen und wieder einsetzen – in rund zehn Sekunden ist das Gerät wieder einsatzbereit. Der zweite Clou ist der Gasmotor: Er stößt zehn Prozent weniger Kohlendioxid als benzinbetriebene Rivalen, stinkt nicht und ist lärmisoliert, um auch den Betrieb in den frühen Morgenstunden im Wohngebiet zu ermöglichen. Der dritte Clou sind die speziell geformten Fräsen, die dem Leichtgewicht-Body reichlich Vortrieb verschaffen. Und der vierte Clou ist die Reichweite: Honda stellt heraus, dass eine Kartusche zum Aufwühlen von 106 Quadratmeter Gemüsefeld reicht.
Wie bitte? 106 Quadratmeter? Richtig gelesen. Und damit sind wir beim Thema: Dem Sinn oder Unsinn systemimmanent Effizienz steigernder Innovationen in schlicht und ergreifend ineffizienten Systemen, die grundlegend reformiert gehören. In diesem Fall handelt es sich um Japans Landwirtschaft. Hauptsächlich mit Anbau beschäftigen sich laut den Statistiken des Landwirtschaftsministeriums noch immer 3,3 Millionen der 127 Millionen Japaner.
Die Folge sind Mikrohöfe: Die durchschnittliche Feldgröße eines "Bauern" beträgt 1,8 Hektar. In Europa sind es neun mal mehr, in den USA 99 mal und in Australien 1862 mal. Selbst unter der Annahme, dass es sich in Japan hauptsächlich um Reisfelder handelt, die auf Jahr gesehen mehr Ertrag pro Quadratmeter abwerfen als ein deutscher Acker, reichen die Erlöse in den meisten Fällen nicht aus, um eine Familie zu ernähren. Viele der so genannten Landwirte sind daher defacto nur Teilzeitbauern. Zudem sind inzwischen 57 Prozent über 65 Jahre alt.
Nun will ich hier nicht kritiklos der hypereffizienten Landwirtschaft im großindustriellen Maßstab das Wort reden. Aber so klein wie in Japan ist Landwirtschaft weder besonders schön noch ökologisch, sondern in der Regel schlicht Verschwendung. Viele Bauern kennen sich nicht mit modernen Anbaumethoden aus und haben auch weder Anreiz noch Zeit, sich weiter zu bilden. Felder sind daher oft überdüngt oder überreich mit Pflanzen- und Insektenvertilgungsmitteln bedacht.
Gleichzeitig tun in einer Ortschaft vielleicht zehn Fräsen Dienst, wo eigentlich eine reichen würde. Auf nationaler Ebene trägt diese extreme Zersplitterung der Landwirtschaft zudem dazu bei, die Selbstversorgungsrate Japans auf etwa 40 Prozent zu drücken. Bei Japans Bürokraten lässt diese niedrige Rate die Alarmglocken schrillen. Denn wie nur wollen sie die Nation ernähren, falls der Import einmal durch Wirtschaftskrise oder Kriege unterbrochen wird?
Den Bauern mit der Fräse den Anbau ein bisschen zu vereinfachen, ist sicherlich nett für die betroffenen Individuen, hilft aber dem System kein Stück. Um Japans Landwirtschaft auf höhere Erträge – und Nachhaltigkeit – zu trimmen, ist zu allererst eine Bodenreform nötig, weiß auch das Landwirtschaftsministerium. Aber da es sich bei den vielen Bauern im Rentenalter um Stammwähler der seit 1955 fast ununterbrochenen regierenden liberaldemokratischen Partei handelt, gingen Reformen bisher nur im Schneckentempo voran.
Stattdessen wartet das Ministerium auf die biologische Lösung des Problems, wie es mir gegenüber einmal ein Beamter des Landwirtschaftsministeriums ausdrückte. Bald könnten viele Bauern schlicht wegen ihres fortgeschrittenen Alters ihre Felder nicht mehr bestellen und würden daher vielleicht bereit, Boden zu verkaufen oder zu verpachten, so das Kalkül.
An diesem Punkt könnte Hondas Effizienz steigernde Innovation im größeren Rahmen gesehen sogar kontraproduktiv wirken, in dem sie die Bauern länger auf dem Feld hält und damit den notwendigen Systemwechsel verzögert. Die Lehre aus der Geschichte für mich: Bevor man eine Innovation "wow" findet, sollte man sich hin und wieder aus den Systemzwängen befreien und das System selbst überdenken. (wst)