KOMPLEX? RELAX.

“Kompliziert” ist der negative Aspekt von “komplex”. Es geht immer darum, Dinge verstehbar zu machen. “Komplex” ist in Ordnung. Komplexe Dinge sind vielleicht ein bißchen anstrengend, aber ok.

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Von
  • Peter Glaser

Mit Komplexität verhält es sich wie mit Primzahlen, die sich, auch wenn sie riesengross sind, nur durch 1 oder durch sich selbst teilen lassen -– man kann sie auf keinen kleineren gemeinsamen Nenner zurückführen.

An der Technischen Universität Eindhoven haben Forscher herausgefunden, dass der durchschnittliche Nutzer der Ansicht ist, Geräte, zu deren Inbetriebnahme man mehr als 20 Minuten braucht, seien zu kompliziert. Er wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück ins Geschäft tragen. “Kompliziert” ist der negative Aspekt von “komplex”. Es geht immer darum, Dinge verstehbar zu machen. Es geht um Kommunikation. “Komplex” ist in Ordnung. Komplexe Dinge sind vielleicht ein bißchen anstrengend, aber ok. Die Welt ist dazu da, komplex zu sein. Das sollte jeder sich klarmachen, der schon mal darüber nachgedacht hat, weshalb das Universum nicht einfach ein sauberer, weißer Würfel ist.

Der fantastische Erfolg des Faxgeräts beispielsweis rührt vor allem daher, dass es lange zu verheimlichen wußte, dass es eigentlich ein Modem ist. Ein Faxgerät ist eine komplexe Sache, trotzdem braucht man bloß ein Blatt Papier reinzustecken und auf einen Knopf zu drücken. Schon mal die Parameter eines Modems eingestellt, Handshake, Parity Bits, all den Kram? Sehen Sie.

Der Computer kann uns helfen, die Komplexität der Welt und damit uns selbst besser zu verstehen. Die Technik kapiert nichts, das müssen wir selbst tun. Und wer hätte dazu bessere Möglichkeiten als der Mensch? Im Lauf von etwa 500 Millionen Jahren zur differenziertesten Struktur herangereift, die wir kennen (auch wenn man angesichts des Nachmittagsprogramms im Fernsehen manchmal daran zweifeln möchte), sind wir darauf aus, in das Wesen des Komplexen immer tiefer einzublicken. Dazu haben wir einen gemeinschaftlichen symbolischen Organismus herausgebildet: den Geist.

Während der Geist in all den Jahrtausenden, in denen er sich mühevoll entwickelt hat, sozusagen zu Fuß unterwegs war, gibt es jetzt erstmals so etwas wie einen Autobus für’s Bewußtsein: das Internet. Computer und Internet produzieren verschiedene, teils sehr anschauliche Modelle von dem, was wir sind. Wenn diese Modelle dazu führen, dass wir mehr oder neu über uns nachdenken, erfüllt die Technik tatsächlich die Funktion eines Erkenntnisinstruments.

Komplexität ist eine natürlicher Eigenschaft aller Erscheinungen. Kompliziert sind die Dinge, an deren Undurchschaubarkeit irgend jemand ein Interesse hat, ob es sich um Unternehmensverschachtelungen, Gesetze oder wissenschaftliche Theorien handelt. Dem Komplizierten ist stets zu mißtrauen, während wir uns mit dem Komplexen anfreunden sollten.

Komplexität läßt sich auch reduzieren, im übrigen ist das die vornehmste Aufgabe in einer Informationsgesellschaft. Das bezieht sich nicht nur auf Software oder auf die Komplexität von Darlegungen. Hardware, die über eine möglicherweise fantastische Funktionsfülle verfügt, kann durch alptraumhafte Bedienungsanleitungen (“Treten Sie die Nummer ein und lassen Sie sie eingelagert”) praktisch stillgelegt werden. Dass es auch anders geht, belegen Easy-Tasten an Camcordern (Party/Schnee/Sonnenuntergang) oder Musikanlagen (Pop/Klassik), die einem Akkordgriffe bei der Feineinstellungs abnehmen. Oder die allerneuesten supereinfachen Mobiltelefone. Sie haben weder Adressspeicher noch Display. Man kann mit ihnen nur telefonieren. (wst)