Was ist eigentlich Spitzentechnologie?

Die Lektüre des kürzlichen erschienenen „Berichts zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006“ wirft einige Fragen auf.

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Von
  • Niels Boeing

Vor einigen Wochen ist der „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2006“ erschienen. Darin musste ich bei folgendem Satz stutzen: „Entscheidend wird daher sein, den Sektor- und Unternehmensstrukturwandel in Richtung Spitzentechnologie zu beschleunigen. Denn der Niedrigtechnologiesektor, aber auch die Hochwertige Technologie bieten zu wenig Ansatzpunkte für eine forcierte FuE- und innovationsoriertierte Strategie.“ Als Sektoren der Spitzentechnologie werden Pharma/Biotechnologie, Luft- und Raumfahrt, Instrumententechnik sowie Computer/Elektronik aufgezählt.

Zum einen ist es verwunderlich, dass die Nanotechnik in dieser Aufzählung fehlt. Denn bei der mischen Forschung und Industrie in Deutschland auf gleicher Augenhöhe mit den üblicherweise als Referenz geltenden USA und Japan mit – gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegen die deutschen Forschungsaufwendungen in der Nanotechnik sogar höher als die der USA. Sicher, an der breiten Umsetzung neuer Nanotechnologien in konkrete Produkte mag es noch hapern, wie viele aus der hiesigen NT-Gemeinde einräumen. Doch auch in den USA ist es nicht gerade so, dass dort bereits eine Vielzahl von Nanoprodukten auf dem Markt wäre, wie etwa ein Blick in das entsprechende Inventory des Woodrow Wilsons Centers zeigt. Und gerade in der chemischen Nanotechnik, aber auch in Nanomedizin und Nanoelektronik braucht sich die Nanoforschung hierzulande nicht zu verstecken.

Zum anderen frage ich mich, warum Umwelt- und Energietechnik in diesem Zusammenhang keiner Erwähnung wert ist. Ist das „nur“ Hochwertige Technologie? In den vergangenen Jahrzehnten hat sich hieraus in Deutschland ein mächtiger Industriezweig entwickelt, der schätzungsweise eine Million Arbeitsplätze umfasst. Sind eine Million nur Peanuts? Geht es nicht bei der ständigen Betonung der Notwendigkeit von Innovationen gerade auch um Arbeitsplätze? Gemessen daran ist etwa die Luft- und Raumfahrttechnik eher ein Leichtgewicht: Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrttechnik bezifferte in einer Pressemitteilung vom April die Gesamtzahl der in diesem Sektor Beschäftigten auf 81.000.

Worum also geht es bei Innovationen in der „Wissensgesellschaft“, und wer legt dabei die Einteilung in Spitzen-, Hochwertige und Niedrigtechnologie fest? Im Bericht ist immerhin die Rede von „optimalen Lösungen für die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben“. Der Aufbau eines nachhaltigen Energiesystems stellt meines Erachtens eine der wichtigsten, wenn nicht gar die bedeutendste Aufgabe für die kommenden Jahrzehnte dar, nicht nur in Deutschland. Eine Technik, die dazu beiträgt, ist in meinen Augen eine veritable Spitzentechnologie – auch die Nanotechnik kann hier einen großen Beitrag leisten.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch in der Technologiepolitik Moden eine große Rolle spielen. Biotechnik ist einfach hip, weil sie vor allem in den USA medienwirksam mit großen Träumen und vollmundigen Versprechungen, etwa vom endgültigen Sieg über den Krebs, verkauft wird. Luft- und Raumfahrttechnik umweht immer noch der Hauch heroischer Ingenieurskunst des 20. Jahrhunderts, obwohl ich nicht erkennen kann, inwiefern der Flugzeugbau hinsichtlich „gesellschaftlicher Aufgaben“ bedeutender als der Automobilbau ist – der Innovationsbedarf bei letzterem dürfte für die weitere Entwicklung des Verkehrs größer sein.

Wenn also von technologischer Leistungsfähigkeit einer Wissensgesellschaft die Rede, sollten die Ziele, zu denen Technologien die Mittel bereitstellen, explizit gemacht werden. Innovationen nur um höherer Weltmarktanteile willen zu pushen, ist einem schlichten Zeitgeist geschuldet, über den man in 50 Jahren lachen oder – je nach Entwicklung des Ökosystems Erde – weinen wird. (wst)