Kalte Finger
Wie müssten ein wenig Hardware und Software aussehen, um von einem hypermodernen Cola-Automaten aus abfragen zu können, ob an einem Webserver ein cooler Typ sitzt?
- Peter Glaser
Es ist so heiĂź, dass ich nur noch Fotos mit Blaustich betrachte, weil sich zumindest das ein wenig kĂĽhler anfĂĽhlt. Durst. In der Hitze schmelzen dicke Schichten Vergesslichkeit ĂĽber alten Geschichten ab.
Seit den siebziger Jahren gab es in der Abteilung für Informatik an der Carnegie-Mellon-Universität in Pittsburgh einen Cola-Automaten, in dem die Cola ein paar Cent billiger war als anderswo auf dem Campus. Da echte Programmierer ohne Koffein nicht funktionieren, war der Automat ziemlich beliebt. In unregelmäßigen Abständen wurde er von Studenten nachgefüllt.
Mitte der Siebziger wurde die Informatik-Abteilung erweitert und etliche Büros an Orte verlegt, die weit von dem Haupt-Terminalraum entfernt waren, in dem der Cola-Automat stand. Es war frustrierend, drei Stockwerke runterzulaufen, nur um zu sehen, dass der Automat leer war oder man für sein hart verdientes Geld nur eine warme Cola bekam. Informatiker installierten daraufhin Sensoren in den sechs Automatenschächten und verkabelten sie mit dem Hauptrechner der Abteilung, einer PDP-10 namens CMUA. Jemand schrieb ein kleines Serverprogramm, das anzeigte, wie viele Flaschen Cola in jedem der Schächte lagen, und wie lange sie schon drin waren (das heißt, ob sie auch schon kalt genug waren).
Um den Cola-Automaten auch von jedem anderen Terminal aus checken zu können, wurde eine Abfrage namens “finger” modifiziert, die zu den Standards von Internet-Verbindungen gehört. Wer von woher auch immer an CMUA eine Anfrage nach einem (nichtexistierenden) User namens “coke” richtete, bekam als Antwort den Status des Cola-Automaten.
Das Ende des Internet-Cola-Automaten kam mit der Einführung der nicht mehr colaflaschenförmigen Plastikcolaflaschen, mit denen die alte Maschine nicht umgehen konnte. Sie wurde durch einen neuen Getränkeautomaten ersetzt. Die Cola-Liebhaber an der Carnegie-Mellon-Universität hat das so verstimmt, dass sich bis heute keiner dazu durchringen konnte, den neuen Automaten ans Netz zu schließen.
Nun hat Coca-Cola-Firmenchef Neville Isdell eine Initiative für innovative Produktentwicklung gestartet. Seit Mai wird in Deutschland der “Cokefridge” getestet. Der neue Getränkeautomat hat einen Bildschirm, auf dem Werbung läuft und über den man, nachdem man eine Cola gekauft hat, Fotos machen, SMS senden und Spiele, Logos oder Klingeltöne laden kann. Dazu muß als erstes ein Zahlencode eingegeben werden, der im Schraubverschluß der Flasche steht.
Behörden beobachten die Tests mit Argwohn. Man befürchtet, dass die Firma neue Technologien einzusetzen versucht, um Junk Food an Kinder zu verkaufen. Chris Burggraeve, EU-Marketingchef von Coca Cola, bezeichnet die Entwicklung der neuen Automaten als Versuch, “auf relevantere Weise” mit den Konsumenten zu kommunizieren. Die Bedenken der Behörden würde man sehr wohl zur Kenntnis nehmen.
Die Firma probiert neue Getränkeautomaten aus, mit denen Benutzer auch Digitalfotos machen und Klingeltöne auf ihr Handy laden können. Man möchte direkter mit den Kunden interagieren, heißt es aus dem Unternehmen.
Weltweit gibt es 2,8 Millionen Cola-Automaten. So viele Webserver hingen im August 1998 erstmals am Netz. Ich versuchte mir vorzustellen, wie ein wenig Hardware und Software aussehen müssten, um von einem hypermodernen Cola-Automaten aus abfragen zu können, ob an einem Webserver ein cooler Typ sitzt, aber ich kam nicht weit. Es war zu heiß. Ich ging ein Stockwerk tiefer in die Küche und holte mir kalten Blutorangensaft aus dem Kühlschrank. (wst)