Journalismus 2.0
Das Schlagwort vom "Bürgerjournalismus" macht sich gut auf Medienkongressen. Die Experimente der Verlagshäuser mit "User Generated Content" verlaufen dagegen weitgehend enttäuschend. Vielleicht muss ein dritter Weg her?
- Mario Sixtus
Das Medien-Buzzword der Saison lautet zweifellos "User Generated Content". Ein Begriff, der nach Powerpoint-Folien und Businessplan riecht. Andere sprechen lieber von "Bürgerjournalismus". Das klingt dann mehr nach Brecht, Habermas und nach "Demokratisierung der Medien". Seit Rupert Murdoch sich für 580 Millionen Dollar die Community Myspace einverleibte, sind sämtliche Dämme gebrochen und jedes Medienunternehmen umwirbt nach Kräften TJFKAA (The Journalist formerly known as Audience).
CNN richtet eine eigene Video-Abwurfstelle ein, auch N24 will Augenzeugen-Videos haben (gratis, aber dafür inklusive aller Rechte), Focus bastelt sich einen Flickr-Youtube-Klon, die Netzeitung lässt ihre Leser schreiben und die Bildzeitung zahlt ihren Paparazzi Bürger-Reportern immerhin 500 Euro je Promi-Abschuss. Jeder auf seinem Niveau.
Die britische BBC gehört bekanntlich zu den experimentierfreudigsten Medienhäusern und hat bereits vor Monaten einen so genannten User-Generated-Content-Hub eingerichtet, eine redaktionell betreute Verteilerstelle, die eingesandte Texte, Fotos und Videos nach Prüfung und Verifizierung an die jeweiligen Publikationskanäle des Senders verteilt. An einer Hotelbar teilte mir ein BBC-Mitarbeiter kürzlich den Zwischenstand dieses Experiments mit: "99 Prozent Schrott." Das eine verwertbare Prozent der Einsendungen würde den Aufwand (immerhin sechs Redakteure) jedoch rechtfertigen.
So richtig zündend fand ich bislang keine dieser Ansätze. Wahrscheinlich, weil in all den genannten Konzepten der User zum reinen Lieferanten degradiert wird: Vom vielgepriesenen Miteinander keine Spur. Der von mir hoch geschätzte Journalismus-Professor Jay Rosen hat nun ein Projekt angekündigt, das wesentlich phantasievoller an das Thema heran geht. NewAssignment.net soll eine Art Open-Source-Journalismus liefern und Geschichten produzieren, die klassische Medien "nicht liefern, nicht liefern können, nicht liefern würden oder bereits vermasselt haben". Amateure und Profis sollen die Themen auf einer Internet-Plattform gemeinsam finden, aufarbeiten und anschließend freie Journalisten mit der Recherche beauftragen. Kleinanzeigen-König Craig Newmark, Inhaber von Craigslist hat bereits die ersten 10.000 Dollar in den Spendentopf geworfen und ab Herbst soll es los gehen.
Natürlich tauchen bereits vor dem Start die ersten Bedenkenträger auf und Jay Rosen antwortet ihnen bewundernswert geduldig. Wie David Weinberger zurecht anmerkt, ist NewAssignment.net eher eine Antwort auf die Frage "Wie können Bürger und Journalisten in der Öffentlichkeit zusammenarbeiten", als auf die Frage "Wie kann man mit Medien im Internet-Zeitalter Geld verdienen", aber immerhin versucht der angedachte Profi-Amateur-Hybrid einen neuen Weg zu gehen und der ist allemal vielversprechender, als seine Leser auf Verkehrsunfälle loszulassen. Status: Ab auf den Beobachtungszettel damit. (wst)