Blasen, feste blasen!
Was tun, wenn sich ein zweiter Dotcom-Hype einfach nicht einstellen will? Man kann ja versuchen, einen herbeizuschreiben.
- Mario Sixtus
Ein wenig sentimental schaute er drein, mein Freund J., als er neulich auf einem Grillabend von verflossenen New-Economy-Zeiten erzählte. In der Zeitschriftenredaktion, für die er damals tätig war, saßen seinerzeit fünf mal so viele Schreiber wie heute und die kamen mit der Arbeit kaum hinterher, berichtete J.: "Permanent kamen neue Ganzseitenanzeigen herein und wir mussten noch mehr Artikel produzieren, damit unser Heft nicht nur aus Werbung bestand."
Mit ein paar Jährchen Abstand wirkt die Zeit des Fieberwahns auf viele Zeitgenossen offenbar wieder ganz sympathisch. Gerade in der arg gebeutelten Medienbranche schauen nicht wenige mit leicht feuchten Augen auf die kurze Phase der Hysterie zurück. War doch gar nicht so schlecht, oder? Unglaublich viel Geld befand sich im Kreislauf (der bekanntlich kein Kreislauf war, sondern eine Einbahnstraßenrutsche Richtung Freudenfeuer), in Redakteurs- und Agenturbüros waren Arbeitsplätze keine Mangelware und irgendwie haben wir doch immer super Partys gefeiert, oder? Wahrscheinlich wünschen sich nicht wenige Kollegen - allen voran jene aus dem Wirtschaftsressort - die wilden Zeiten zurück, ob heimlich oder offen.
Was also tun, wenn eine neue Internet-Blase partout nicht auftauchen will? Nun, man kann ja versuchen, eine herbeizuschreiben. Das mögen sich einige Leute bei der Businessweek gedacht haben, als sie jüngst diese Titelstory zusammenschusterten. "How this Kid made 60 Million in 18 Months" schreit die Frontseite und zeigt Digg-Gründer Kevin Rose, wie er gleich zwei Schumi-Daumen gen Fotostudio-Decke reckt. Damit nicht genug: Leute, "die Bescheid wissen", würden den Wert von Digg auf 200 Millionen Dollar schätzen, trompetet der Text, freilich ohne dem Leser zu verraten, wer diese Bescheidwisser denn sein sollen. Und wenn man gerade dabei ist, kann man doch gleich ein paar ebenfalls namenlose "Experten" zitieren, welche die Videoschleuder YouTube auf 500 Millionen taxieren. Darf es vielleicht ein bisschen mehr sein?
So geht es fröhlich weiter, und bei all den Millionensummen, die dem Leser um die Ohren geschossen werden, kann es durchaus sein, dass der den Titel dieser Titelstory aus den Augen verliert. Wir erinnern uns: Der Text wollte uns eigentlich verraten, wie "this Kid" an 60 Millionen gekommen ist. Dieses Versprechen löst der Artikel jedoch aus einem guten Grund nicht ein: Kevin Rose hat das Geld nämlich gar nicht "gemacht", und erst Recht nicht "in 18 Monaten". Die beiden Autorinnen haben diese Summe schlicht in ihre Zeilen hineinphantasiert. Auch so kann man versuchen, eine neue Blase aufzublasen.
Als Rupert Murdoch vor rund einem Jahr MySpace für 580 Millionen Dollar übernahm, hieß es allerorten: "Jetzt geht's wieder los" und so mancher sentimentale Journalist mag es sich sogar erhofft haben. Von einer neuen Bubble kann indes keine Rede sein: Myspace erwirtschaftet jährlich 200 Millionen Dollar an Werbeerlösen. Einen Kaufpreis, der unter dem dreifachen Jahresumsatz eines Unternehmens liegt, kann man schon beinahe konservativ nennen.
Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis uns "Wirtschaftswoche" und "Manager Magazin" mit ähnlichen Storys weismachen wollen, die Millionenschlacht im Netz hätte wieder begonnen. Lassen wir sie blasen. Dieses Mal kommt die heiße Luft nicht aus den Chefetagen windiger Dotcom-Unternehmen, sondern aus den Redaktionsstuben. (wst)