Kohle flĂĽssig machen
Lange bevor das Öl wirklich knapp zu werden droht, steht sein fossiler Bruder bereit: Kohle ließe sich schon heute zu konkurrenzfähigen Preisen verflüssigen.
- Matthias Urbach
Im zweiten Weltkrieg betankte der "FĂĽhrer" damit sein letztes Aufgebot, SĂĽdafrikas Apartheidsregime trotzte mit dem synthetischen Treibstoff jahrelang dem internationalen Wirtschaftsembargo, und nun will auch China damit ein wenig autarker werden: Die Rede ist vom Kohlebenzin.
Wenn man hierzulande über den richtigen Sprit für das Ende des Ölzeitalters spekuliert, ist zumeist von Wasserstoff die Rede oder von Bioethanol. Die Idee, wieder Kohle flüssig zu machen, hat sich hingegen bislang kaum herumgesprochen. Selbst ausgewiesene Experten können (oder wollen) sich das nicht vorstellen. Doch die Chefs der deutschen Stromkonzerne haben Angela Merkel auf ihrem Energiegipfel schon auf das Thema angesprochen, die deutsche Steinkohlelobby predigt längst ihren Rohstoff als möglichen Ausweg aus der Ölpreiskrise. Für 60 Dollar pro Fass (Barrel), so die gängige Abschätzung, ließe sich hierzulande Kohle zu Öl machen. Also zum aktuellen Ölpreis.
Seit einiger Zeit gehen auch Fondsmanager von Merryll Lynch mit solchen Ideen hausieren und empfehlen Firmen wie die südafrikanischen Kohleverflüssiger Sasol. Sie glauben, dass der Kohlensprit zumindest in den USA bereits zu Kosten von 35 bis 45 Dollar pro Fass zu produzieren ist. Dies wäre ein Bereich, an dem man es schon fast wagen könnte, in dieses Geschäft einzusteigen, denn natürlich kann der Ölpreis wieder sinken. In Südafrika wird auch nach der Apartheid noch Benzin aus Kohle gewonnen, zu inzwischen höchst wirtschaftlichen Preisen von etwa 25 Dollar pro Fass.
Gestern überraschte nun Uhde, eine ThyssenKrupp-Tochter, mit der Meldung, in China kräftig beim Bau einer Anlage mitzumischen, die ab 2008 jährlich 100.000 Tonnen Benzin produzieren soll. In den chinesischen Kohleprovinzen erlauben die Rahmenbedingungen Synthesepreise von um die 20 Dollar pro Fass – das wäre ein Preis, von dem kaum einer glaubt, dass er noch einmal von Rohöl unterboten werden könnte.
Steht uns das Comeback des Kohlezeitalters bevor, das mit der Dampfmaschine eigentlich verschwunden schien?
Noch jedenfalls nicht. Erstens sind die Preise nur nahe geeigneter Kohlevorkommen so niedrig – und die Schwankungen des Rohölpreises machen ein Investment riskant. Zweitens hat Kohlesprit, der wird durch Verflüssigung oder auf dem Umweg der Vergasung erzeugt, einen hohen Bedarf an Wärme bei der Herstellung. Anfang der Achtziger, als die Bundesrepublik bereits einmal ein großes Kohleveredlungsprogramm auf die Beine stellen wollte (mit 14 Großanlagen), errechnete das Umweltbundesamt, dass etwa sechzig Prozent der eingesetzten Kohle für die Prozesswärme draufgehen. Damit ist Kohlebenzin mehr als doppelt so klimaschädlich wie normaler Treibstoff auf Rohölbasis.
Ein ökologischer Albtraum. Der einzige Ausweg bestünde darin, das Kohlendioxid in die Erde zu pumpen, es zu sequestrieren. Das wurde sicher noch einmal mit Kosten in einer Größenordnung von 30 Dollar oder mehr pro Fass zu Buche schlagen. China und Südafrika sehen in dieser Klimaschädlichkeit freilich kein Problem.
Vom Standpunkt der Energiesicherheit aus betrachtet hat die Kohleoption dennoch ihren Reiz. Vor allem da die Atomkraft in Zeiten des Terrors eigentlich keine verantwortbare Option mehr ist. Mohammed Atta, einer der Todespiloten vom 11. September, hatte bereits mit der Idee gespielt, statt des Nordturms des World Trade Centers den 40 Kilometer entfernten Kernreaktor Indian Point anzusteuern. (Ganz zu schweigen von den Betriebsrisiken sowie den Endlager- und Proliferationsproblemen der Atomkraft.)
Doch noch ist Öl im Nahen Osten für ein paar Dollar pro Fass zu fördern. Selbst schwierig zu erschließende Quellen dürften auf Dauer billiger bleiben, als es bislang ist, Kohle in Sprit zu verwandeln. Es könnte also sein, dass die Kohle außer in ein paar kohlereichen Schwellenländern nicht groß zum Einsatz kommt, bevor irgendwann im Laufe dieses Jahrhunderts Erneuerbaren Energien die Fossilen obsolet machen.
Klar ist aber auch: Alle weltwirtschaftlichen Horrorszenarien über die Zeit nach dem Ölfördergipfel („Peak Oil") sind verfrüht. Lange bevor Öl rationiert werden muss, wird man auf reichlich Kohle zurückgreifen können. Und vielleicht werden die Industrieländer diesen Zeitpunkt aus Angst vor Krisen im Nahen Osten sogar noch ein wenig näher heran subventionieren. (wst)