Zukunftsblicke
Die Fähigkeit, fantastische Vorstellungen immer schneller in neue Erfindungen umzusetzen, hat den Technologiesektor einschließlich der Ingenieur- und Naturwissenschaften inzwischen selbst in etwas wie eine reale Zukunftsphantasie verwandelt.
- Peter Glaser
In den zurückliegenden 150 Jahren hat das Unvorhersehbare eine völlig neue Qualität angenommen. Das macht nun brauchbare Einschätzungen der Entwicklung vor allem von Technologien durch ungewöhnlich dynamische und überraschende Komponenten sehr schwierig. Im 19. Jahrhundert hatten wissenschaftliche Experimente der Physiker Volta, Galvani, Ohm, Oersted, Henry und Faraday erstmals zu Erfindungen wie Telegraphie, Dynamo und Elektromotor geführt, die fast nichts aus einer früheren Technologie übernahmen. Innerhalb von zwei Generationen gab es Glühbirne, Telefon, drahtlose Telegraphie und Röntgenstrahlen. Alle diese Erfindungen waren zuvor nicht nur undurchführbar, sondern auch technisch unvorstellbar gewesen, ehe wissenschaftliche Methoden sie in reale Möglichkeiten verwandelten. Miniaturisierung, Digitalisierung und Vernetzung haben in den zurückliegenden Jahrzehnten zu einer weiteren Beschleunigung des Prozesses geführt.
Die Fähigkeit, fantastische Vorstellungen immer schneller in neue Erfindungen umzusetzen, hat den Technologiesektor einschließlich der Ingenieur- und Naturwissenschaften inzwischen selbst in etwas wie eine reale Zukunftsphantasie verwandelt. Das Gefühl, dass etwas unmöglich sein könnte, schwindet. Vieles von dem, was heute alltäglich ist, tauchte zum ersten Mal in Zukunftsromanen auf – Mobiltelefone als Star Trek-”Kommunikatoren”, Faxgeräte bei Philip K. Dick, Kommunikationssatelliten bei Arthur C. Clarke. Heute liefert die Wirklichkeit phantastische Anregungen. SF-Autoren wie Bruce Sterling (“Sie arbeiten tatsächlich schon an Antischwerkraft und Zeitreisen”) fühlen sich von einer Vielzahl wissenschaftlicher Ideen inspiriert. Von Fachkonferenzen bringt Sterling stets ein vollgeschriebenes Ringbuch mit Ideen für Stories und Romane mit.
Ross Mayfield ist Mitgründer und CEO von “Socialtext Inc.” Die Firma stellt eine Software her, mit der Zusammenarbeit und Kommunikation in Unternehmen einfacher und produktiver wird (“Simple tools with simple rules”). Sie basiert auf neuen Web-Werkzeugen wie Wikis und Weblogs, die Mitarbeiter nach ihren eigenen Vorstellungen gestalten und benutzen können. Im Januar 2005 startete Mayfield in der Foto-Community Flickr einen Bilder-Pool, in dem Fotos gesammelt werden, die Firmenparkplätze im Silicon Valley an den Wochenenden zeigen.
Skurrile Idee? “Mein Onkel war einer der Gurus an der Wall Street”, sagt Mayfield. “Als Junge habe ich ihn mal gefragt, wo ich das Geld anlegen kann, das ich als Zeitungsausträger verdiene. Er sagte, ich solle mir am Wochenende die Parkplätze der Firmen im Silicon Valley ansehen.” Wenn der Parkplatz voll ist, steht die Firma möglicherweise gerade vor einem entscheidenden Durchbruch und einer entsprechenden Wertsteigerung – Kandidatin für ein Investment.
Für Mayfield bedeutete diese Portfolio-Strategie erstmal, ziemliche Strecken mit dem Fahrrad abzuradeln. Heute läßt sich mit genügend “Mobloggern” – mobilen Bloggern mit Videohandys oder Digitalkameras, die ihre Parkplatzfotos mit in den Pool stellen – aus diesem Panoptikum viel bequemer einer der vielen Indikatoren weiterentwickeln, die Auskunft darüber geben können, ob ein Startup gute Performance zeigt oder im Begriff ist, einen Erfolgssprung zu vollziehen. (wst)