Abseits

Auch im Sport ist totale Vernetzung angesagt: Australische Forscher haben jetzt ein vernetztes Trikot entwickelt. Enki Bilal hat so etwas kommen sehen.

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Von
  • Niels Boeing

Wie viele andere vermutlich auch war ich beim ersten WM-Spiel erstaunt über dieses komische kleine Headset am Ohr von Schiedsrichter und Linienrichtern. Kann sein, dass es mit der direkten Kommunikation der Unparteiischen 1966 die Farce ums Wembley-Tor nie gegeben hätte. Aber irgendwie berührte mich dieser unmittelbare Einbruch von IT – der im American Football schon länger üblich ist – in den archaischen, weil simplen und launischen Fußball unangenehm. Immerhin war uns der „Ball mit Chip“, den das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen 2005 mit viel Fanfare angekündigt hatte, noch erspart geblieben – das Ding funktionierte nicht richtig.

Wesentlich radikaler ist schon ein System, das Forscher an der Universität Sidney ersonnen haben. Sie versehen Basketballtrikots mit mehreren Displays, die zum Beispiel die Anzahl der Fouls und erzielten Körbe eines Spielers zeigen. Die Daten werden von einem Zentralrechner am Spielfeldrand an einen Empfänger gesendet, der ebenfalls ins Trikot eingelassen ist. Ebenso könnte die noch verbleibende Spielzeit angezeigt werden, sagen die Forscher.

Ihre äußerst originelle Begründung für diese Innovation: Die Spieler könnten so mehr Vertrauen in die Taktik ihrer Mannschaft bekommen. Das mag einen Trainer wie Thomas Doll vom niederlagen-verseuchten HSV ansprechen, der sich offenbar bei seiner Mannschaft den Mund über taktische Konzepte fusselig redet.

Mir fällt dazu aber sofort Enki Bilals düsterer Comic „Abseits“ ein. In diesem fiktiven Bericht erzählt ein Reporter Mitte des 21. Jahrhunderts, wie der Fußball mittels implantierter Chips und anderer Regeländerungen zu einem brutalen Gladiatorenkampf mutierte. Wer eine mustergültige Vorlage nicht ins Netz hämmerte, bekam einen Stromstoß.

Klar, daran werden die Sidneyer nicht im Traum gedacht haben. Sie folgen nur dem Trend zu überflüssigen Spielstatistiken, die aus dem Datenwust der Sportaufzeichnungen hervorquellen. Mich persönlich interessiert überhaupt nicht, ob meine Mannschaft 60 Prozent Ballbesitz oder doppelt so viele Torschüsse hatte, wenn es am Ende 0:1 steht.

Aber spinnen wir das mal weiter. Weil Sport Big Business ist, übernehmen die europäischen Fußballligen das System in ein paar Jahren. Bei Stürmern mit Ladehemmung oder ruppigen Verteidigern leuchtet dann im Laufe des Spiels das Display ihrer Verfehlungen immer intensiver. Ich sehe schon die Titelseite der BILD nach einem vergeigten Länderspiel vor mir, auf dem Podolskis Trikot in Nahaufnahme sein Versagen dokumentiert.

Auch auf die Gefahr hin, hier wieder rumzunörgeln: Auch solche Anwendungen wie das vernetzte Trikot stehen in demselben Kontext von Überwachung, Kontrolle und Denunziation, die sich seit Jahren wie eine Krankheit ausbreiten. Das muss gar nicht so weit gehen wie Bilals Gedanke der Fernbestrafung, obwohl implantierbare Sender, für die sich das Militär bereits interessiert, auch im Sport denkbar sind. „Damit können Trainer und Mannschaftsärzte rechtzeitig erkennen, ob ein Spieler am Rande seiner physischen Kapazitäten angekommen ist“, wird es dann in einer Pressemitteilung heißen. Bisher nennt man dieses Signal „Humpeln“, und zwei Augen genügen völlig, um es zu erkennen.

Aber es geht nicht um Einfachheit oder gar Effizienz. Es geht um die totale Vernetzung von allem mit allem, die von Techno-Enthusiasten wie Ray Kurzweil oder Kevin Kelly seit längerem als große Zukunft beschworen wird. Eine Innovation um jeden Preis – vor allem den der Privatsphäre. Die totale Vernetzung kommt nicht mit einem Knall. Nein, sie wir mit so harmlos scheinenden Anwendungen wie diesem bescheuerten Trikot, gegen die doch niemand etwas haben kann, Stück für Stück vorangetrieben.

Der einzige Trost: Dieses Fest werden sich Hacker nicht entgehen lassen. Und so kam es im WM-Endspiel 2014 zum Eklat, weil der plötzlich von „Digitalterroristen“ manipulierte Ball mit Chip in der Verlängerung nach jeder vergebenen Chance ein Tor signalisierte, dass automatisch – Menschen sind ja fehlbar – auf die Anzeigetafel des Stadions geschrieben wurde. In der 103. Minute stand es bereits 4:0 für Deutschland, obwohl 70.000 Zuschauer kein einziges Tor gesehen hatten. Der IT-Sponsor der WM jedoch sah sich jedoch außerstande, die komplexe Software einfach so abzuschalten. Der Schiedsrichter brach daraufhin das Spiel ab – per Handzeichen natürlich. (wst)