Koalition will Zeitvertragsgesetz für Wissenschaftler ändern

Zehntausende Nachwuchswissenschaftler an deutschen Hochschulen hangeln sich von einem Zeitvertrag zum nächsten. Die schwarz-rote Koalition will das Problem „Uni-Prekariat“ dieses Jahr lösen.

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  • dpa

Im Grundsatz sind alle einig, die zu entscheiden haben – Koalitionsexperten, Ministerin, Kanzlerin. Das seit 2007 geltende Wissenschaftszeitvertragsgesetz soll geändert werden. Es lädt – obgleich gut gemeint – zum Missbrauch ein und wirft einen Großteil des deutschen Uni-Nachwuchses auf oft sehr kurzfristige Zeitverträge zurück. Doch statt der erhofften Einigung vor der Sommerpause drohte die Reform im großkoalitionären Hickhack zu versanden. Nun könnte es doch noch etwas damit werden – wenn auch wohl etwas später.

Das Problem: Unterhalb der Professur haben nach Gewerkschaftszahlen mindestens 80 Prozent nur befristete Verträge – betroffen sind bis zu 200 000 Beschäftigte. Die Lösung: Schwierig – weil umstritten ist, wie stark Wissenschaft und Forschung bei ihrer Personalpolitik an die Kandare genommen werden sollten. Der Teufel steckt wie so oft im Detail. Im Bundestagsausschuss für Bildung und Forschung dürften an diesem Montag unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen, von Regierung und Opposition, Gewerkschaftern und Wissenschaftsverbänden.

Positionen in einer Debatte, die Deutschlands Hochschullandschaft heftig bewegt:

Kanzlerin Angela Merkel äußerte sich am Mittwochabend in Berlin zu den Problemen des "wissenschaftlichen Mittelbaus“, und sie tat es gewohnt vorsichtig: Die Politik müsse "Sorge dafür tragen, dass wir junge Talente in der Forschung halten. (...) Das heißt, es braucht verlässliche Perspektiven für eine attraktive Karriere in der Wissenschaft." Dann das große Aber: Es sei an Hochschulen "eine der schwierigeren Aufgaben, die Balance zwischen Dynamik und Sicherheit zu finden." Mit anderen Worten: Flexibilität muss sein. Merkel meint, eine Gesetzesreform könne ein Beitrag sein, um "Fehlentwicklungen bei Befristungen“ zu begegnen. Die CDU-Chefin warnt jedoch vor allzu starren Regelungen – "denn was einmal fixiert ist, ist in unserer Gesellschaft auch nicht ganz einfach wieder zu "entfixieren“.“

An Forschungsministerin Johanna Wanka liegt es, eine Novelle vorzubereiten. Die Sozialdemokraten sehen die CDU-Politikerin auf ihrer Seite, wie SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil erst am Freitag wieder sagte. Wanka hat öffentlich mehrfach betont, dass sie gegen miese Karrierewege an Hochschulen vorgehen wolle. Die Möglichkeit, Jungforschern stets nur befristete Verträge zu geben, werde teils indiskutabel ausgenutzt. Neben der Gesetzesreform will Wanka die Probleme durch ein Bund-Länder-Programm abmildern, um dem Nachwuchsforschern häufiger den Weg zur Professur zu ebnen.

Anfang des Jahres war die Einigkeit in der Koalition noch recht groß, zumal eine Novellierung des ungeliebten Gesetzes im schwarz-roten Koalitionsvertrag von 2013 vereinbart ist. Doch schon damals griff die Union unüberhörbar Mahnungen mächtiger Organisationen wie Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auf, die Durchlässigkeit des Systems nicht zu gefährden. "Es kann in der wissenschaftlichen Qualifikationsphase keine Sicherheit geben, wie wir sie sonst bei Arbeitnehmern haben“, so CDU-Mann Michael Kretschmer.

Dagegen betonten SPD-Politiker wie die Vizevorsitzende des Bundestagsausschusses, Simone Raatz: "Wenn wir gute Köpfe in Deutschland halten wollen, müssen wir auch an unseren Universitäten und Hochschulen gute Arbeitsbedingungen bieten“. Wochenlang stockte der Reformprozess. Am Freitagabend meldeten Raatz und Heil dann erfreut: Die Unions-Kollegen stimmten einem Papier zu, das Gesetzesreform und Bund-Länder-Programm für mehr Aufstiegschancen jüngerer Forscher verknüpft. Man werde "über die Sommerpause aus den Ideen von Union und SPD einen gemeinsamen Antrag entwickeln."

Grüne und Linke setzten die Expertenanhörung zum Uni-Nachwuchs im Bundestagsfachausschuss durch: "Unsere Geduld ist am Ende, weil Wissenschaft als Beruf nicht weiter an Attraktivität verlieren darf“. Beide Fraktionen haben Vorschläge gemacht, um die Arbeitsbedingungen der Dozenten und Forscher zu verbessern, die Grünen legten 2014 bereits einen Gesetzentwurf vor. "Kurzzeitverträge und Befristungsunwesen müssen zurückgedrängt werden, was bei den Regierungsfraktionen trotz anderslautendem Koalitionsvertrag offenbar noch immer kein Konsens ist“, hieß es von der Opposition.

Als Arbeitgeber haben die Hochschulen großes Interesse daran, in ihrer Personalpolitik nicht zu sehr reglementiert zu werden. Doch die Wissenschaftsorganisationen, darunter DFG und HRK, sehen inzwischen ihrerseits Fehlentwicklungen. Von ihnen selbst vorgeschlagene Gegenmaßnahmen seien eine "Grundlage für den Dialog mit der Politik“. So will etwa die Max-Planck-Gesellschaft "mehr Transparenz bei den Karrierewegen."

"Dauerstellen für Daueraufgaben, Mindeststandards für Zeitverträge“ – unter diesem Motto präsentierte der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller im Januar einen Gesetzentwurf für die Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes.

(Bild: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft)

Seit Jahren kämpft die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) für faire Karrierewege an Hochschulen- unter dem Doppelmotto "Dauerstellen für Daueraufgaben“ und "Mindeststandards für Zeitverträge“. Nachdem die GEW sich vor einigen Monaten schon kurz vor dem Ziel wähnte, gab sie sich zuletzt alarmiert über den schwarz-roten Zwist und ein mögliches Einknicken vor Hochschul- und Wissenschaftslobby. Am Montag will GEW-Vize Andreas Keller in der Bundestagsanhörung nochmals mit Nachdruck für die im Vergleich zur Koalition sehr weitgehenden Vorstellungen der Gewerkschaft werben: "Von der Bundesregierung, vom Bundestag und Bundesrat erwarten wir, dass sie (...) alle verfügbaren rechtlichen Kompetenzen und politischen Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen." (jd)