Geckoman statt Spiderman

Der Prototyp eines neuen Haft-Tapes mag zwar keine weltbewegende Innovation hervorbringen, zeigt aber, was Nanotechnik ausmacht.

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Von
  • Niels Boeing

Am Anfang war es wohl nicht mehr als eine fixe Idee. Vor vier Jahren demonstrierten Materialforscher aus Großbritannien und Russland erstmals, dass ein mit Polymerfasern beschichteter Film den Klebeeffekt der winzigen Härchen eines Gecko-Fußes nachahmen kann. Vorausgegangen war die Entdeckung, dass zwischen den zahllosen so genannten Setae, die einen Durchmesser von 200 bis 500 Nanometern haben, und einer beliebigen Oberfläche Van-der-Waals- und Kapillarkräfte wirken, die den Gecko auch bei einem Spaziergang an der Zimmerdecke nicht abstürzen lassen. Die Wissenschaftler beließen es bei ihrem Proof of Principle, weil schon ein kleiner Streifen dieses „Gecko-Tapes“ einige tausend Euro gekostet hätte.

Zwei Jahre später stellte eine Gruppe vom US-amerikanischen Rensselaer Polytechnic Institute eine neue Version des Tapes vor, die mehrwandige Kohlenstoff-Nanotubes nutzte. Das war insofern interessant, als diese Form der Nanoröhrchen zum einen nicht allzu teuer ist, zum anderen, weil es ein weiterer Beweis war, wie vielseitig diese Riesenmoleküle sind. Auch in der Nanoelektronik oder zur Verstärkung von neuen Werkstoffen – spektakulärste Idee ist ein Nanotube-Kabel für einen Weltraumaufzug – gelten sie seit langem als vielversprechendes Material.

Nun hat dieselbe Gruppe dieses Nanotube-Gecko-Tape so weiterentwickelt, dass zum ersten Mal ein Prototyp für eine mögliche Anwendung herausgekommen ist. Sein Haftvermögen sei viermal stärker als das natürliche Vorbild, und es lasse sich wiederholt ablösen und erneut anhaften, sagen die Forscher. Wozu das am Ende gut sein wird, weiß man noch nicht. Vielleicht für Räder oder Füße von Robotern, die senkrechte Wände meistern sollen. Ich könnte mir vorstellen, dass eines Tages nur teure Hightech-Schuhe und –Handschuhe für Kletterer daraus werden, die dann kopfüber an Felsüberhängen entlang kriechen können – als Geckoman statt Spiderman. Oder man macht ganz neue Aufhängungen für Lampen daraus, die – drahtlos mit Energie versorgt – von Zeit zu Zeit an einer anderen Stelle im Zimmer platziert werden.

Diese Anwendungen mögen nicht weltbewegend sein, wenn auch recht praktisch – die Lampenaufhängung fänd ich großartig. Aber das Gecko-Tape zeigt doch zwei Dinge.

Erstens: Die Nanoforschung braucht Beharrlichkeit und einen langen Atem. In einer Zeit, in der die Gier nach Innovationen ans Nervöse grenzt, wird oft vergessen, dass man sie nicht mit den Maßstäben der äußerst dynamischen digitalen Welt haben kann. Der voreilige Hype, der gleich mehrere Nano-Börsenindizes nach Dotcom-Muster hervorgebracht hat, vergaß, dass man Atome nicht wie Bits in der Garage oder in einer leeren Fabriketage bearbeiten kann. Ohne Labor mit teurem Equipment geht meist nicht viel. Sie funktioniert eher wie die Halbleitertechnik, die in den sechziger Jahren ebenfalls ganz langsam begonnen hat. Hinzu kommt, dass Innovationen häufig Zufallserfolge und Rückschläge vorausgehen, über die hinterher keiner mehr spricht.

Ich bin überzeugt davon, dass die Nanotechnik in 20 oder 30 Jahren vieles hervorgebracht haben wird, das alltäglich sein wird – und faszinierender als selbstreinigende Hausfassaden, auf die sie derzeit von Skeptikern wieder reduziert wird (selbstreinigende Kloschüsseln finde ich allerdings faszinierend).

Zweitens: Die Nanobionik – denn um einen solchen Fall handelt es sich hier – wird eine der treibenden Kräfte bei der weiteren Entwicklung der Nanotechnik sein. Nanoforscher betonen immer wieder, dass irdisches Leben seit über drei Milliarden Jahren Nanotechnik in Aktion sei. Das hat nichts mit einer schicken Umetikettierung von Biologie zu tun, weil man dann leichter an Fördergelder kommen kann. Zellen und Mikroorganismen sind molekulare Fabriken, die völlig autonom, also selbstorganisiert mit Nanostrukturen funktionieren.

In einem IEEE-Blog wurde vergangene Woche heftig darüber gestritten, ob diese „nasse“ Nanotechnik (weil sie in einem wässrigen Medium stattfindet) besser sei als eine „trockene“, wie sie Eric Drexler skizziert hat. Diese Debatte ist sinnlos, weil es hier kein "entweder - oder" gibt. Drexler selbst hat die nasse, also biologische Variante zumindest als Vorstufe seiner Vision beschrieben. Nanotechnik wird (in Teilen) natürlich nicht nur eine für menschliche Zwecke optimierte Version von Biologie sein. Wie bei vielen bionischen Innovationen wird es irgendwann den Übergang zu einer Adaption geben, die an ihr natürliches Vorbild nur noch erinnert – es aber nicht nachbaut.

Beides demonstriert die Arbeit am Gecko-Tape, das damit auch exemplarisch ist dafür, wie Nanoforschung und –technik funktionieren. Wer auf den Nano-Hype jetzt Ungeduld und Sarkasmus folgen lässt, hat die Nanotechnik noch nicht begriffen. (wst)