Ingram Micro macht Schluss mit kostenlosen Lieferungen

Aufgrund der gestiegenen (Energie-)Kosten hat die Europazentrale des Distributors Ingram Micro angekündigt, die Praxis der kostenlosen Belieferung von Händlern einzustellen. Jetzt sind die Landesgesellschaften am Zuge.

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Von
  • Damian Sicking

Lieber Ingram-Micro-Chef Gerhard Schulz,

wer kann sich bei diesen Spritpreisen das Autofahren eigentlich noch leisten? Nicht nur die Porsche- und Taxi-, sondern auch die LKW-Fahrer und die Speditionen stöhnen. Und weil alles so teuer wird, hat niemand mehr etwas zu verschenken. Auch Ingram Micro nicht.

Daher ist es nur konsequent, dass die Ingram-Micro-Zentrale in Brüssel in der vergangenen Woche meldete: "Aufgrund der steigenden Energiekosten gibt Ingram Micro EMEA die Frachtkosten in voller Höhe an seine Kunden weiter." Ingram Micros Europachef Jay Forbes erklärt diese Entscheidung damit, dass Ingram Micro nur so den Erfolg des Unternehmens sicherstellen könne. Er wisse, dass diese Entscheidung viele Partner, die bisher frachtfrei beliefert worden sind, vor eine Herausforderung stelle, und deshalb werde Ingram Micro diesen Übergang so "smooth" wie möglich machen.

Jetzt bin ich natürlich gespannt, wie Sie mit dieser Vorgabe aus Brüssel umgehen. Denn bisher waren die Frachtkosten ja zwischen Ingram-Deutschland und den Kunden durchaus Verhandlungssache. In Gesprächsrunden zu diesem Thema sagten Sie immer auf die Frage, warum sie nicht von allen Kunden Frachtkosten einfordern, dass das Gesamtpaket für Ingram stimmen müsse. Nun fordert Europa-Manager Forbes, dass Sie in Zukunft "die kompletten Lieferkosten" ("the full cost of shipping products to our customers") von den Händlern einfordern sollen. Das wird sicherlich zu sehr lebhaften Gesprächen mit einigen ihrer Kunden führen.

Ein bisschen erinnert mich der Vorgang an die Politik, genauer an die Beziehung zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten: Das EU-Parlament beschließt eine Richtlinie, welche von den einzelnen Mitgliedsstaaten dann in nationales Recht umzusetzen ist. Erfahrungsgemäß kann das dauern. Liegt mitunter auch daran, dass die jeweiligen EU-Entscheidungen nicht bei allen Ländern gleich gut ankommt. Ich kann mir vorstellen, dass auch die Entscheidung der Ingram-Micro-"EU" über das Eintreiben der Frachtkosten bei allen Landesfürsten nicht auf gleiche Begeisterung stößt.

Einen Menschen wird die Order aus Brüssel aber auf jeden Fall freuen: Michael Dressen. Der Deutschland-Chef des Ingram-Konkurrenten Also ärgert sich seit Langem darüber, dass seine Wettbewerber ihren Kunden die Frachtkosten nicht konsequent in Rechnung stellen.

Warum tun Distributoren das? Ganz klar: Sie befürchten, dass sie sonst Kunden und damit Marktanteile verlieren. Hm, vielleicht ist das so. Was sie aber ganz bestimmt verlieren, wenn sie die Frachtkosten für ihre Kunden übernehmen, ist Profit. Die Übernahme der Frachtkosten ist ein sicheres Mittel, seinen eigenen Profit zu minimieren. Kann sich das ein Distributor, kann sich das überhaupt ein Unternehmen in der IT-Branche leisten, von Großverdienern wie Microsoft und Cisco einmal abgesehen (und die kämen nicht auf solche Ideen)? In seinem Buch "Der gewinnorientierte Manager. Abschied vom Marktanteilsdenken" (Campus-Verlag, 39,90 Euro) legt der renommierte Unternehmensberater Hermann Simon dar, dass sich in reifen Märkten wie der IT-Branche die Steigerung des Marktanteils und höhere Gewinne gegenseitig ausschließen. Ich darf mal kurz zitieren: "Das harte Festhalten an wettbewerbsorientierten Zielen sowie den zugehörigen Instrumenten und Verhaltensweisen beeinträchtigt die Fähigkeit eines Unternehmens, in einem stark umkämpften oder reifen Markt Gewinne zu erzielen." Die Übernahme der Frachtkosten ist so eine Verhaltensweise, welche die Fähigkeit eines Unternehmens beeinträchtigt, in dem stark umkämpften IT-Markt Gewinne zu erzielen.

Mit freundlichen GrĂĽĂźen

Damian Sicking ()