Kolumne: IT-Firma sucht durchsetzungsstarken Vorstand - aber was heißt das?
"Durchsetzungsvermögen" ist die Anforderung Nummer 1 an Top-Manager und solche, die es werden wollen. Heise-"Vermögensberater" Damian Sicking glaubt, dass es so etwas gar nicht gibt.
Lieber Headhunter Dietmar Faller,
Sie sind Chef der Personalberatung Baumann und suchen für ein IT-Unternehmen, das den Börsengang plant, ein Vorstandsmitglied. Bereits zum zweiten Mal erschien in der Wochenendausgabe der FAZ die Stellenausschreibung. Natürlich sind Sie diskret und verraten nicht, um welches Unternehmen es sich handelt, aber liege ich mit meiner Vermutung völlig daneben, dass wir hier von dem Softwareanbieter b+m Informatik AG in Melsdorf bei Kiel sprechen?
Aber mein Punkt ist hier ein anderer. Der Mann (oder die Frau), den Sie für diese Position – "gerne auch mit Beteiligungsoption" – suchen, muss natürlich ganz schön etwas auf dem Kasten haben. Ich will hier nicht sämtliche Voraussetzungen aus der Stellenausschreibung herunterbeten, sondern mich auf eine einzige beschränken: Er muss eine "durchsetzungsstarke Führungspersönlichkeit" sein. Bei diesem Kriterium "Duchsetzungsstärke" oder auch "Durchsetzungsvermögen" oder "Durchsetzungsfähigkeit" handelt es sich offenbar um eine zwingend notwendige Voraussetzung, wenn man es in die Chefetagen der Unternehmen bringen will. Es steht fast in jeder Ausschreibung für eine Management-Position. Durchsetzungsfähigkeit ist also für Leute, die nach oben wollen, total wichtig. Die Frage ist aber nur, was heißt das überhaupt?
Es gibt sicher viele Möglichkeiten, sich durchzusetzen. Machen wir sie uns an einer konkreten Situation deutlich. Der neue Vorstand Ihres Kunden aus der IT-Branche kommt vom Kunden zurück in die Firma und berichtet stolz, dass er sich gegen die Konkurrenz durchgesetzt und den Großauftrag gewonnen habe. Auf die Frage seiner Vorstandskollegen, wie er das geschafft hat, hat er nun die Wahl unter folgenden Antwortalternativen:
a) Ich habe unserem Konkurrenten vorher einfach den Schädel eingeschlagen ("Holzhammer-Methode", heute etwas aus der Mode gekommen).
b) Ich habe den Kunden mit einem kleinen Geldgeschenk für uns eingenommen ("Siemens-Methode").
c) Ich habe dem Kunden ein Angebot gemacht, was er nicht ablehnen konnte ("Mafia-Methode" nach Mario Puzo).
d) Ich war einfach viel billiger als die Konkurrenz ("Blöd-Methode").
e) Ich habe viel lauter gebrüllt als alle andere und dann auch noch mit meinem Schuh auf den Tisch gehauen ("Chruschtschow-Methode").
Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie all das nicht meinen, wenn Sie von "Durchsetzungsstärke" sprechen? Aber was haben Sie gemeint, als Sie in die Stellenausschreibung das Wort von der "durchsetzungsstarken Führungspersönlichkeit" hineingeschrieben haben? Etwa nichts?
Warum reite ich so auf dem Begriff "Durchsetzungskraft" oder "Durchsetzungsvermögen" rum? Weil er – zumindest habe ich den starken Verdacht – eine leere Floskel ist, die nichts bringt, im Gegenteil. Ich sehe vor meinem geistigen Auge hoffnungsvolle Nachwuchsmanager, die sich in ihren schlaflosen Nächten mit der Frage quälen, ob sie wohl durchsetzungsstark genug sind, um diejenigen Positionen in der Wirtschaft zu erreichen, von denen sie träumen. Das ist so unnötig! Warum? Weil es so etwas wie Durchsetzungsvermögen überhaupt nicht gibt. Das Wort an sich ist einfach falsch und hat in unserem Lexikon nichts verloren.
Dass sich jemand in einer Konkurrenzsituation durchsetzt, ist immer die FOLGE von bestimmten Kompetenzen, die jemand hat, es ist aber nicht selbst eine Kompetenz. Genauso wie im Sport der Sieg immer nur die Folge von Talent und Training ist, nicht aber das Talent und Training selbst. Ein Sportler kann genauso wenig Siegen oder Gewinnen lernen und trainieren, wie ein Manager lernen und trainieren kann, sich durchzusetzen. Was der Manager dagegen lernen und trainieren kann, sind die Fertigkeiten, die ihn dazu in die Lage versetzen, sich in einer Konkurrenzsituation durchzusetzen – unter anderem Argumentationstechniken, Hartnäckigkeit, geistige Flexibilität, gute Umgangsformen et cetera.
Aus diesem Grunde sind auch die gut gemeinten Ratschläge beispielsweise eines Vertriebsleiters an seinen Verkäufer "Sie müssen lernen, sich durchzusetzen" wenig hilfreich. Denn welcher Verkäufer kann damit etwas anfangen? Was soll er konkret tun? Wo kann er Durchsetzungsstärke lernen? Bei der Baumann-Personalberatung?
Beste Grüße
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