EU-Urheberrecht, Panoramafreiheit und die digitale Welt: Abschotten statt Anpassen

Mit dem nun verabschiedeten Reda-Report hat das EU-Parlament lange überfällige Urheberrechtsreform eingeleitet. Ein Konstruktionsfehler bleibt: Statt um das Prinzip geht es zu oft um Besitzstände. Eine Analyse von Torsten Kleinz.

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EU-Fahne

Die EU will bewahren statt gestalten.

(Bild: Rock Cohen, CC BY 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Auf ein solches Interesse stößt das Europaparlament selten: Eine Petition zur Erhaltung der Panoramafreiheit hat über 500.000 Mitzeichner erreicht, in den Posteingängen der Abgeordneten stapelten sich offene Briefe, Pressemitteilungen und Thesenpapiere. Dabei hätte das Thema an sich kaum langweiliger sein können. Dass es so etwas wie eine "Panoramafreiheit" gibt, war bis vor kurzem allenfalls einem engen Kreis von Urheberrechtsinteressierten bekannt. Das Recht Kunstwerke und Gebäude im öffentlichen Raum zu fotografieren und die Bilder zu veröffentlichen, war auch gar nicht in unmittelbarer Gefahr, da nur ein Evaluationsbericht und keinesfalls schon ein Gesetz zur Debatte stand.

Eine Analyse von Torsten Kleinz

Torsten Kleinz konzentriert sich als freier Journalist auf Internetkultur und Netzpolitik.

Zu Beginn der Sitzung versuchte Günther Oettinger die Bedenken der Öffentlichkeit dann auch wegzuwischen: "Wir sollten keine Phantomdebatten führen", sagte der EU-Digitalkommissar. So wolle die EU-Kommission keinesfalls die Panoramafreiheit einschränken. Die ganze Debatte sei lediglich das "Missverständnis eines Fachausschusses".

Es ist wahr: Die Debatte über die Panoramafreiheit erreichte eine Lautstärke, die die Sachdebatte fast unmöglich machte. Dennoch ist es keinesfalls ein Missverständnis oder gar Zufall, dass die Panoramafreiheit zum Streitthema wurde.

So war der Vorschlag des französischen Abgeordneten Jean-Marie Cavada nicht aus Unkenntnis geschrieben: Statt nur die bisherigen Gesetze seines Landes, und damit die Einnahmen von Künstlern und Architekten zu erhalten, forderte er einen generellen Erlaubnisvorbehalt für alle EU-Staaten. In Interviews machte er später deutlich: Mit seinem Antrag wollte er erreichen, dass Google, Facebook und Twitter dafür zahlen, dass sie Bilder ihrer Nutzer veröffentlichen. Seine Idee ist eine Art Panorama-Leistungsschutzrecht.

Damit ist er aber auch auf der Linie von Günter Oettinger. Der EU-Kommissar hat sich schon im Januar laut Gedanken gemacht, dass Google wohl nur ein europaweites Leistungsschutzrecht für Presseverleger akzeptieren würde. Dabei hat der Konzern schon mehrfach demonstriert, dass er seine Produkte zurückziehen kann und wird. Gleichzeitig kann der lange erhoffte europäische Google-Konkurrent unter solchen Bedingungen gar nicht erst entstehen.

Oettingers Digitaler Binnenmarkt ist Industriepolitik: Einheimische Unternehmen sollen gestärkt, die übermächtigen US-Konzerne zurechtgestutzt oder zur Kasse gebeten werden. Die eigenen Industrien will die Kommission vor den Folgen der Digitalisierung schützen, statt ihren Übergang zu moderieren.

So soll etwa die europäische Filmindustrie von Eingriffen in ihr Geschäftsmodell ausgenommen werden, weil sie sonst von "Hollywood, Bollywood, Google und Amazon" hinweggefegt würde, erklärte Oettinger erst am Mittwoch. Auch das Parlament schreckt vor Reformen zurück, die alte Gewohnheiten und Geschäftsmodelle aufbrechen könnten: So haben die Abgeordneten nicht etwa für eine europäische Panoramafreiheit votiert, sondern die Streitfrage schlicht gestrichen. Jeder soll so weitermachen wie zuvor.

Eine weitere Eigenschaft macht die Panoramafreiheit symbolisch für die Entwicklung des Urheberrechts. Denn auf beiden Seiten der Panoramafreiheit sitzen Kreative. Der Gesetzgeber sitzt also zwischen zwei Stühlen: Will er die Panoramafreiheit einschränken, protestieren Fotografen und Dokumentarfilmer – will er sie ausweiten, schlagen Verwertungsgesellschaften Alarm.

Zunehmend meldet sich aber auch eine dritte Seite zu Wort: Die Privatnutzer denken nicht mehr daran, sich nur als Verhandlungsmasse behandeln zu lassen, deren Geld zwischen Verwertern und Autoren verteilt wird. Sie wollen Inhalte teilen, verarbeiten und veröffentlichen, ohne ins Visier von Abmahnern zu geraten. Denn die schert wenig, was die Gesetzgeber wollten. Hier muss Europa liefern, um eine Urheberrechtsreform hinzubekommen, die mehr ist als nur Besitzstandswahrung. (mho)