Trunksüchtige Ratten

Chilenische Forscher testen, ob sich mit Hilfe einer Gentherapie Alkoholiker auf den rechten Weg bringen lassen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 2 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Anna Davison

Wissenschaftlern in Chile ist es gelungen, alkoholabhängige Versuchstiere mit Hilfe einer Gentherapie zu heilen – zumindest für einen begrenzten Zeitraum. Die Behandlung orientiert sich dabei an einer Mutation, die in Asien recht häufig vorkommt und die Toleranz ihres Trägers für Wein, Bier, Schnaps und andere Alkoholika deutlich reduziert.

Laut den US-Nationalinstituten für Gesundheit gibt es allein in Amerika 17,6 Millionen Menschen, die regelmäßig Alkoholmissbrauch betreiben oder gänzlich alkoholsüchtig sind. Sollte die Gentherapie der Chilenen auch beim Menschen funktionieren, könnte sie zu einer wichtigen neuen Behandlungsform im Kampf gegen die Trunksucht werden – neben bereits verfügbaren Medikamenten und der Verhaltenstherapie.

"Es ist toll, wenn solch innovative Ansätze ausprobiert werden. Wir können sie gut gebrauchen", sagt George Koob, Co-Direktor des "Pearson Center for Alcoholism and Addiction Research" am Scripps-Forschungsinstitut.

Die neue Gentherapie beschneidet die Aktivität eines Leberenzyms, der Aldehyd-Dehydrogenase, die eine wichtige Rolle bei der Umwandlung von Alkohol im Körper spielt. Nahezu ein Drittel aller Menschen in Fernost besitzt eine natürliche genetische Mutation, die den gleichen Effekt hat. Trinken sie, werden ihre Gesichter beispielsweise rot, der Herzschlag erhöht sich und sie fühlen sich schnell krank – eine gute Motivation, die Flasche früh wieder abzusetzen.

Das nun von Yedy Israel und seinen Kollegen an der Universität von Chile getestete Verfahren ruft eine ebenso unangenehme Reaktion hervor – getestet wurde das an Ratten. Der Professor für pharmakologische und toxikologische Chemie züchtete Versuchstiere, die in ihrem Erbgut eine Neigung zu einem erhöhten Alkoholkonsum zeigten – und bot ihnen eine unbegrenzte Menge an verdünntem Ethanol an – beim Menschen vergleichbar mit einem besseren Bier mit erhöhtem Alkoholgehalt. Zwei Monate lang wurden die Nager so immer abhängiger. Dann wurde die "Saufquelle" entfernt und den Tieren Viren injiziert, die ein Gen enthielten, das das erwähnte Enzym hemmt. "Das ist eine neue Methode, einen alten Ansatz zu verfolgen", meint Koob, der die Methode für "sehr clever und interessant" hält.

Drei Tage später ging die "Ratten-Happy Hour" dann wieder los – die Tiere konnten wieder soviel trinken, wie sie wollten. In einer Stunde nahmen die Nager eine Alkohol-Menge zu sich, die beim Menschen sieben Gläsern Bier entsprechen würde. (Die Kontrollgruppe der zum Alkohol neigenden Tiere, die zuvor nicht extra abhängig gemacht worden war, konnte nur ein Zehntel davon wegstecken.)

Beim ersten Versuch war den behandelten Ratten offenbar noch nicht klar, dass sie sich nach dem Konsum schlecht fühlen würden – "sie tranken eine riesige Menge", erzählt Israel. Danach sahen sie allerdings nicht mehr so gut aus. Was folgte, war eine deutliche Reduktion ihres Alkoholkonsums in den nächsten Tagen – sie tranken im Schnitt nur noch die Hälfte. Der Effekt hielt in den vier Wochen, die die Studie lief, weiterhin vor.

Israel und seine Kollegen arbeiten nun an Methoden, eine solche Gentherapie zu schaffen, die mehrere Jahre oder gar ein Leben lang wirkt. So soll endlich eine Dauertherapie gegen den Alkoholismus gefunden werden. Die meisten heute erhältlichen Medikamente müssen mindestens einmal am Tag eingenommen werden, was häufig zu einer Absetzung führt, wenn der Patient nicht kontrolliert wird. Halte eine einzelne Behandlung länger vor, wären die Chancen eines Therapieerfolgs auch insgesamt größer, sagt Israel.

Zwei der drei in den USA derzeit zugelassenen Medikamente, Naltrexon und Acamprosat, reduzieren das Verlangen nach Alkohol. Die dritte Behandlungsform namens Disulfiram wirkt ähnlich wie Israels Gentherapie – den Menschen wird beim Trinken sofort schlecht. Die Reaktion ist schon spürbar, wenn man nur ein mit Alkoholspuren versetztes Mundwasser zu sich nimmt. Das führt dazu, dass die meisten Alkoholiker das Medikament "wirklich hassen", meint Carolyn Drazinic, Dozentin an den Instituten für Psychiatrie und Genetik und Entwicklungsbiologie an der University of Connecticut. "All diese Mittel setzen voraus, dass die Patienten ständig mitziehen, was allerdings ziemlich selten der Fall ist", sagt Israel.

Drazinic ist sich allerdings nicht sicher, ob eine ein Leben lang vorhaltende Behandlungsform, bei der dem Patienten bei einem Tröpfchen Alkohol bereits schlecht wird, viel Erfolg auf dem Markt beschert wäre. "Es gäbe sicher viele Menschen, die sich dem verweigern würden, wenn sie die bei der Einnahme von Disulfiram erfolgende Reaktion bereits erfahren haben." Die populärste Option wäre deshalb wohl eine, die man nicht täglich einnehmen müsste, aber die auch nicht mehrere Jahre lang vorhält. Koob sieht das ähnlich: "Das wäre besser als jemand, der ständig mit einem Baseballschläger neben einem steht und einen auffordert, doch gefälligst sein Disulfiram zum Frühstück zu schlucken."

Robert Swift, Professor für Psychiatrie am Institut für Alkoholismus- und Drogenforschung an der Brown University, hält den Gentherapie-Ansatz ebenfalls für eine verfolgenswerte Technik, glaubt aber nicht, dass sie schon bereit für eine massenhafte Anwendung sei. "Es gibt zahlreiche Medikationen, die die Trunksucht bei Tieren reduzieren, beim Menschen aber keine so große Wirkung haben." Das Hauptproblem: Es ist unklar, ob die Veränderungen in den Enzymen tiefgehend genug seien, um am Trinkverhalten tatsächlich viel zu ändern.

Die Gentherapie bleibt darüber hinaus ein risikoreiches Verfahren. Sollte sie wirklich beim Menschen gegen Alkoholismus eingesetzt werden, dürfte sie eher das letzte Mittel bei schlimmsten Fällen sein, meint Swift. Allerdings leiden diese Patienten oft auch schon an Leberschäden, die das Risiko von Komplikationen bei solchen Behandlungsformen erhöht.

Raymond White, Direktor des "Ernest Gallo Clinic and Research Center" an der University of California in San Francisco, hält den Therapieansatz zwar für "vollkommen logisch". Der Forscher, dessen Zentrum die biologischen Ursachen für den Missbrauch von Drogen und Alkohol untersucht, wäre allerdings überrascht, wenn daraus demnächst tatsächlich eine echte Behandlungsform würde. (bsc)