Verriss des Monats: Der Abschiedsbrief-Generator

In sozialen Netzen begann sich vor geraumer Zeit das kommunikative Potential des Web zu entfalten. Nun wird's antisozial.

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Von
  • Peter Glaser

Abgerechnet wird zum Schluss: Die Kunst des gepflegten Verreißens zweifelhafter Produkte ist ein wenig – sagen wir mal – aus der Mode gekommen. An dieser Stelle – normalerweise immer am letzten Tag des Monats – präsentiert unser Kolumnist Peter Glaser daher eine Rezension der etwas anderen Art: den Verriss des Monats. Vorschläge für besonders zu würdigende Produkte werden gerne per Mail entgegengenommen.

Kairo hat etwa 20 Millionen Einwohner. Zu überleben ist hier für Viele eine Herausforderung an ihre Findigkeit. Die Palette der angebotenen Dienstleistungen ist immens breit. Eine der Tätigkeiten, die man sich von kompetenter Seite abnehmen lassen kann, ist das Beschimpfen von unsympathischen Vorgesetzten, Kollegen oder Partnern. Es sind meist Frauen mit einem Talent fürs Furiose oder unterbeschäftigte Klageweiber, die sich gegen eine kleine Gebühr gern telefonisch dem gewünschten Gegenüber aufs Garstigste zuwenden. Das ganze verläuft sozusagen von Hand anonymisiert, indem man sich einfach nicht miteinander bekannt macht. Was hier, bei aller Arbeitsteiligkeit, nach wie vor im Spiel ist, ist Gefühl: Zorn, Antipathie, Gereiztheit. Menschen in den Wetterlagen des Empfindens.

Das Internet hat dagegen etwa 1,15 Milliarden Einwohner. Die meisten Menschen erleben das Netz als einen eigenartigen Innenraum, der Geborgenheit ebenso vermitteln kann wie wilde (meist ungefährliche) Abenteuer und eine sehr große – manchmal eine zu große – Bequemlichkeit im Umgang mit Beziehungen. In sozialen Netzen sammeln Junguser Kontakte wie Briefmarken. Wie in Rudis Reste Rampe werden neue Freundinnen und neue Freunde nach Quantität bemessen. Die Länge der Kontaktliste ist zum Statussymbol geworden. Der Hauptspaß besteht darin, sich selbst in die Welt hinauszuschütten und von durstigen, aufmerksamen Augen getrunken zu werden. Dienste wie Twitter, Radar oder Jaiku lassen dazu einen endlosen Fluss kleiner Nachrichten strömen – anstelle eines Agenturtickers mit Weltnachrichten laufen per SMS oder Instant Messaging Meldungsschnipsel von Freunden ein, Nanoselbstdarstellungen, Stimmungsmomente, Hallöchen. Dazu begleitet einen das Gemeinschaftsgefühl einer virtuellen WG immer und überallhin – alle Freunde sind immerzu da.

Wenn man jemanden nicht mehr mag, schaltet man ihn einfach ab. Die Entwicklung ausdifferenzierter Services, die ein Nirwana an Wohlbehagen und Bequemlichkeit verheißen, gehört zu den treibenden Ideen im Netz. Diese Vorstellung auch auf menschliche Beziehungen anzuwenden, ist ebenso verlockend wie naheliegend. "Was tun, wenn Du mit jemandem Schluss machen möchtest, aber Dich nicht traust, es persönlich zu sagen oder Dich schämst, es telefonisch mitzuteilen oder zu faul bist, es ist einer E-Mail detailliert auszubreiten? Es gibt eine Website, die für Dich Schluss macht!" Sie heißt BreakUpEmail.com ("It's That Easy") und Nicole Ferraro, die Chefkolumnistin des Portals "Internet Evolution", ist ganz begeistert. Wie praktisch. Amerikaner sind ja immer so pragmatisch. Es gibt eine ausführliche Checkliste mit Begründungen, weswegen man nun nicht mehr weiter zusammen sein mag. Die freundliche Website generiert daraus einen angemessenen Verabschiedungstext, den man einfach in eine E-Mail kopiert und abschickt. "And then, POOF: You're. So. OVER." Klick und weg.

In einer Zeit, in der viel vom Kampf der Kulturen die Rede ist, ist es doch auch interessant zu sehen, wie sich neue Gemeinsamkeiten formieren. Während die neue westliche Art maschineller Beziehungsverarbeitung nur nichtamtliche Verbindungen zu bearbeiten in der Lage ist, erweist sich das islamische Recht als wesentlich fortgeschrittener. Es sind hier allerdings nur die Ehemänner, die von einem vorschriftsmäßig beschleunigten Verfahren profitieren. Man spricht dreimal "Inti Talaq" aus ("Du bist verstoßen!") und ist ein geschiedener Mann. Nach islamischem Recht, der Scharia, ist diese Art der Scheidung auch brieflich oder per SMS möglich. In Malaysia, den Vereinigten Arabischen Emiraten und in Katar, wo die ersten Fälle von Scheidung per SMS vorgekommen sind, haben zivile und religiöse Gerichtsbarkeit allerdings zu unterschiedlichen Urteilen gefunden. In Malaysia hat sich der damalige Ministerpräsident Mahathir Mohamad schon 2003 gegen eine so unpersönliche Form der Konfliktlösung ausgesprochen.

Im digitalen Kommunikationsuniversum soll die Welt einen Zustand erreichen, in dem Wünsche frei fließen können. Jeder Wunsch soll sofort in Erfüllung gehen können – dieser Kern aller Beschleunigungsvorstellungen erinnert an kindliche Vorstellungen von Zauberei. Klick, und weg. Einen Haken an der Sache hat der Kulturwissenschaftler Lewis Mumford beschrieben: "Nichts kann die menschliche Entwicklung so wirkungsvoll hemmen wie mühelose, sofortige Befriedigung jedes Bedürfnisses durch mechanische, elektronische oder chemische Mittel." In der ganzen organischen Welt beruhe Entwicklung auf Anstrengung, Interesse und aktiver Teilnahme – nicht zuletzt auf der stimulierenden Wirkung von Widerständen, Konflikten und Verzögerungen. "Selbst bei den Ratten kommt vor der Paarung die Werbung." Der Mensch kennt noch eine weitere Qualität: Respekt. Das heißt: Einer Begegnung oder einer Konfrontation nicht auszuweichen, auch wenn einem Maschinen eine bequeme Ausflucht zu bieten scheinen.

Auch ein Neubeginn lässt sich inzwischen übrigens vollautomatisch unternehmen: für 20 Dollar liefert der handliche "Pick-up Line Generator" eine Auswahl der "wirkungsvollsten" Anmachsprüche. (bsc)