Warum das Netz zusammenbrach

Die Internet-Ausfälle, die in den letzten Wochen durch mehrere beschädigte Seekabel auftraten, zeigen einmal mehr, wie fragil das Netz an wichtigen Punkten doch noch ist.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • John Borland

Als das Internet am vergangenen Mittwoch in Teilen des Nahen Ostens und bis hinüber nach Indien plötzlich deutlich langsamer wurde, wurde die Menschheit einmal mehr daran erinnert, dass auch die virtuellen Welten nur dann funktionieren, wenn eine echte physikalische Verbindung zwischen A und B besteht: Fast gleichzeitig brachen zwei getrennt verlaufende Glasfaser-Seekabel, die Europa mit Ägypten, weiteren Ländern des Nahen Ostens und schließlich Indien verbinden. Die konkreten Auslöser der Unterbrechung liegen noch immer im Dunkeln – Experten sprachen anfangs davon, dass Schiffsanker, die in stürmischer See über den Meeresboden gezogen wurden, die Übeltäter gewesen sein sollen.

Was auch immer der Grund war, die Auswirkungen waren sofort zu spüren. Laut dem Telekommunikationsministerium in Kairo verlor das Land anfangs 70 Prozent der Internet-Außenanbindung und 30 Prozent der Telefonate, die sonst die ägyptische Call-Center-Industrie erreichen. Zwischen 50 und 60 Prozent des Datenverkehrs Richtung Westen ging in Indien hops – dabei lebt von diesen Verbindungen die noch immer wachsende Outsourcing-Wirtschaft des Landes.

"Dieser Glasfaserweg über das Mittelmeer ist ein Nadelöhr. Auf der Route war bis vor Kurzem nur wenig Verkehr, sodass es keine große Nachfrage nach neuen Seekabeln gab", erklärt Tim Strong, Analyst bei Telegeography Research, einem Marktforschungsunternehmen, das die globale Vernetzung untersucht. Diverse neue Leitungen seien in der Region inzwischen zwar geplant, doch eben noch nicht online.

Schäden an Seekabeln kommen häufiger vor – mehr als 50 Reparaturmissionen wurden allein 2007 im Atlantik absolviert, wie die britische Spezialfirma Global Marine Systems berichtet. Die Unterbrechungen in der letzten Woche trafen jedoch ausgerechnet eine Stelle, an der der Internet-Verkehr für ganze Weltregionen über nur eine einzige Route verläuft.

Zwischen den Vereinigten Staaten, Japan und Europa wäre es kaum zu solchen Komplikationen gekommen: Der Atlantik und der Pazifik sind derart mit breitbandigen Glasfaserkabeln durchzogen, dass ein Ausfall in einem einzelnen Bereich keine signifikanten Auswirkungen hat. Der Datenverkehr nimmt dann eben eine der vielen möglichen Alternativrouten, um sein Ziel doch noch zu erreichen.

Die nun betroffene Verbindung ist jedoch ganz anders gestrickt. Bis jetzt verlaufen nur drei große Leitungen zwischen Italien und Ägypten, die dann durch den Suez-Kanal weiter große Teile des Nahen Ostens versorgen; eine zusätzliche Verbindung besteht außerdem zwischen Italien und Israel. Kommt es nun im Mittelmeer zu Ausfällen, sind diese sofort spürbar – fallen zwei der drei Kabel weg, wird es besonders schwierig.

Die beiden beschädigten Leitungen wurden rund acht Kilometer nördlich von der ägyptischen Stadt Alexandria unterbrochen. Sie sind die neuesten der drei vorhandenen Verbindungen. Kabel eins gehört Flag Telecom, einer Tochter der indischen Reliance Group. Es verläuft rund 27.000 Kilometer weit von Europa nach China. Kabel zwei, Sea-Me-We 4, wird von einem Konsortium aus 15 verschiedenen Telekommunikationsfirmen betrieben. Es geht von Spanien nach Singapur. Zusammengenommen haben die Kabel laut Telegeography Research eine Kapazität von fast 620 Gigabit pro Sekunde. Kabel drei (und unbeschädigt) ist das ältere Sea-Me-We 3 mit einer Kapazität von nur 70 Gigabit – deutlich langsamer als die anderen.

Doch die zwei Seekabelbrüche blieben nicht das einzige Problem. Am Morgen des 1. Februar kam es vor der Küste Dubais zu einer weiteren Störung. Das betroffene Kabel stammt ebenfalls von Flag Telecom; mit den früheren Vorfällen soll die Unterbrechung aber nichts zu tun haben. Die Auswirkungen waren auch deshalb geringer, weil es Alternativrouten im arabischen Raum gibt. Auch der (durchaus erstaunliche) Bruch eines vierten Kabels, das zwischen Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten verläuft, hatte eher geringe Auswirkungen.

Die Gründe für die Störung der zwei Hauptkabel bleiben bislang eher mysteriös. Ein Flag-Telecom-Sprecher sagte am Montag, dass die Firma nicht über die Gründe spekulieren werde, solange die Kabel nicht untersucht wurden. Die ägyptischen Behörden sagten jedoch am Samstag, dass kein Schiff die Unglücksstelle zum Zeitpunkt des Bruchs befahren habe – weder 12 Stunden davor, noch danach. Der Bereich gilt außerdem als Sperrgebiet, sodass die Chance, dass ein Wassergefährt die Schuld trifft, zusätzlich reduziert sein dürfte.

Der unerwartete Zusammenbruch zwang die Internet-Provider der Region, schnellstmöglich Alternativrouten zu benutzen. Die meisten besitzen Verträge, um in solchen Fällen "Backup-Bandbreite" einzukaufen. So lief der Datenverkehr dann vor allem über die Osthälfte des Globus statt über westliche Kanäle. Daten von Indien nach Europa gingen zunächst nach Ostasien, über den Pazifik, durch die Vereinigten Staaten hindurch und dann über den Atlantik an ihr Ziel. Das sorgte zwar für eine teils deutliche Verlangsamung, doch wenigsten kamen Internet-Pakete so wieder durch.

Laut R. S. Perhar, dem Sekretär des indischen Providerverbandes, passten die örtlichen Anbieter sich recht schnell an. Der Datenverkehr von Geschäftskunden hatte dabei allerdings Priorität, einfache Netzbürger mussten warten. Drei der größten Provider des Landes seien gar nicht betroffen gewesen, weil sie weder im Flag- noch im Sea-Me-We-4-Kabel Bandbreite belegten, sagte Perhar.

Viele indische Firmen hatten bereits zuvor ihre Außenanbindung diversifiziert, nachdem im Dezember 2006 ein Seebeben vor der Küste Taiwans sieben wichtige Seekabel unterbrochen hatte, die Indien und Ostasien versorgten. Einige Provider, die nicht so schnell reagieren konnten, standen laut Perhar jedoch plötzlich ganz ohne Netz da. "Die meisten haben aber eine gute Netzwerkplanung betrieben und darauf geachtet, dass sie Bandbreite von verschiedenen Anbietern beziehen", sagte er. Doch auch Provider ohne diese Redundanz seien auf dem indischen Markt vertreten.

Auch Outsourcing-Firmen standen vor schwerwiegenden Problemen. Da inzwischen viel Arbeit für Europa und die USA in Indien und anderen Billiglohn-Ländern der Region erledigt wird, hängen zahlreiche Bereiche des Wirtschaftslebens von diesen Leitungen ab. Doch ähnlich wie bei den Providern war von den größten Outsourcing-Firmen zu hören, dass sie dank redundanter Leitungen den Datenfluss – wenn auch teilweise verlangsamt – aufrechterhalten konnten.

"Wir planen für solche Ereignisse voraus", meint Nathan Linkon, Sprecher des Outsourcing-Riesen Infosys aus Bangalore. "Wir setzen auf Vielfalt bei Leitungen und Providern und haben dadurch die Verbindung zu unseren Büros und unseren Kunden nie verloren."

Da es sich nur um zwei Kabel handelt, sollte die Wiederherstellung der Konnektivität im Mittelmehr schneller von der Hand gehen als der Prozess im Ozean vor Taiwan, der schließlich 49 Tage dauerte. Flag Telecom gab seinen Kunden durch, dass ein Reparaturschiff von Italien aus sein Bestes geben werde. Die entsprechenden Genehmigungen sollten besonders schnell vorliegen.

Solche Reparaturoperationen sind inzwischen nahezu Routine. In der ganzen Welt stehen Spezialschiffe bereit, die schnell auslaufen können, sobald ein in der Nähe liegendes Kabel gestört wird – was meistens durch Schiffsanker oder Fischernetze erfolgt.

Doch es dauert immer einige Tage, bis die Bruchstelle erreicht ist, wie Stephen Scott von Global Marine Systems sagt. Vor Ort wird dann zunächst die genaue Unterbrechungsstelle lokalisiert – etwa mit einem ferngesteuerten Mini-U-Boot, das Prüfsignale durch das Kabel schickt. Dann wird die Leitung an der Bruchstelle ganz abgeschnitten und das Kabel an die Oberfläche gebracht. (Alternativ geht das auch per Enterhaken.) Beide Teile werden dann mit einem Ersatzstück verbunden und schrittweise zurück unter Wasser gebracht. Ist die See ruhig, dauert eine solche Operation rund 20 Stunden.

Aber auch an Land kann man einiges tun. Providervertreter Perhar sagt, dass seine Organisation ihre Mitglieder und andere auf eine schnelle Internet-Verbindung angewiesene Firmen dazu aufruft, die Bandbreite so weit wie möglich zu diversifizieren. Außerdem müssten schnell neue Kabel her.

Telegeography Research zählt bereits mindestens vier neue Projekte, die auf der Europa-Ägypten-Route in den kommenden Jahren geplant sind. Darunter ist ein weiteres Kabel von Flag Telecom, eines von Telecom Egypt, eines vom ägyptischen Anbieter Orascom Telecom und eines vom Konsortium "India-Middle East-Western Europe".

Die Route soll laut Analyst Strong jedoch weitgehend gleich bleiben, was das Nadelöhr nicht unbedingt behebt. "Mit mehr Kabeln wird es mit der Zeit besser. Aber es fehlt immer noch eine physikalische und geographische Redundanz." Und genau das könnte noch für einiges Kopfzerbrechen sorgen. (bsc)