Gedankenlesen per Hirnscan

Forscher nutzen moderne bildgebende Verfahren, um vorherzusagen, welche Dinge eine Versuchsperson gerade betrachtet.

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Von
  • Emily Singer

Kalifornischen Wissenschaftlern ist es gelungen, akkurat vorherzusagen, welches Bild eine Person gerade betrachtet – und zwar aus einem Pool von über Tausend Aufnahmen und einzig mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie, kurz fMRT. Die Technologie könnte künftig helfen, die Verarbeitung bildlicher Informationen im Gehirn besser zu untersuchen und eines Tages vielleicht sogar Träume zu rekonstruieren.

"Die Studie legt nahe, dass fMRT-basierte Messverfahren zur Gehirnaktivität deutlich mehr Informationen über die ihr zu Grunde liegenden neuronalen Prozesse enthalten, als man das zuvor angenommen hatte", meint Jack Gallant, Neurowissenschaftler an der University of California in Berkeley und Hauptautor der Studie.

Mit Hilfe der fMRT-Technik lässt sich der Blutfluss im Gehirn messen – eigentlich eine nur indirekte Untersuchung der Abläufe im Denkapparat. Die meisten Studien auf Basis dieser Technik nutzten das bildgebende Verfahren, um die Teile des Gehirns festzulegen, die mit bestimmten kognitiven Aufgaben betraut sind, beispielsweise mit der Erinnerung an Gesichter. Die neue Studie setzt nun aber auf einen neuen Trend in der fMRT-Forschung: Die Nutzung der Technik zur Analyse der Informationsverarbeitung im Gehirn. Durch den Einsatz von Computermodellen zur Untersuchung der bei diesen Messungen gewonnenen Daten wollen die Forscher bestimmen, wie Nervensignale in verschiedenen Gehirnbereichen verarbeitet werden und so zu einer zusammenhängenden Wahrnehmung werden. Erste Studien legen nahe, dass sich so beispielsweise zeigen lassen könnte, ob eine Person gerade ein Gesicht oder ein Haus betrachtet.

Bei Gallants Studie sammelten die Forscher zunächst Informationen darüber, wie das Gehirn Bilder verarbeitet, in dem sie die Aktivitäten in der visuellen Hirnrinde aufzeichneten, während Testpersonen mehrere Tausend zufällig ausgewählter Bilder betrachteten. Die Nervenzellen in diesem Bereich des Gehirns reagieren auf bestimmte Aspekte in einer bildlichen Szenerie, beispielsweise einem Muster stark kontrastierender heller und dunkler Bereiche. Die Aktivitäten in den einzelnen Segmenten des Hirnscans spiegelten also die derzeit von den Nervenzellen verarbeiteten Informationen wieder. Die Forscher trugen diese Informationen dann in ihrem Computermodel zusammen. Es konnte schließlich die Muster in der Gehirnaktivität vergleichen, die von einem bestimmten Bild ausgelöst werden. So ergab sich ein erstaunlich gut funktionierendes Vorhersagemodell, was ein Mensch betrachtete.

Zeigte man den Freiwilligen später ein neues Bild, das nicht im ersten Durchgang enthalten war, konnte das Computermodell mit einer Genauigkeit von 90 beziehungsweise 80 Prozent ermitteln, welche von 120 Aufnahmen betrachtet wurde. "Das ist ein für mich sehr überraschender Genauigkeitsgrad ", meint Frank Tong, Neurowissenschaftler an der Vanderbilt University in Nashville, der Gallants Studie kennt. "Es ist erstaunlich, wie viele bildliche Informationen aus dem Hirn ablesbar waren."

Gallant und sein Team wollen die Technologie nun verwenden, um besser zu erforschen, wie das Bildverarbeitungssystem im Gehirn tatsächlich funktioniert – und zwar mit Hilfe von Computermodellen verschiedener Theorien. Diese können dann zur Interpretation von neuerlichen Hirnscans verwendet werden, um ihre Aussagekraft zu überprüfen. "Der direkteste Weg ist dabei stets, zu messen, welche Informationen in den verschiedenen Bereichen des menschlichen Gehirns ablegt wurden und dann zu checken, wie sich dies von Struktur zu Struktur verändert", sagt Ken Norman, Neurowissenschaftler an der Princeton University. Ähnliche Methoden könnten nützlich sein, um festzustellen, was bei Menschen mit verschiedenen Hirnerkrankungen konkret nicht mehr richtig funktioniert, meint er.

Der Ansatz könnte auch bei der Untersuchung kognitiver Phänomene helfen, die heute nur schwer zu untersuchen sind – etwa den Bereich der Aufmerksamkeit. Wenn eine Person beispielsweise ein Bild betrachtet, auf dem ein Paar Ski zu sehen sind, die auf einem Berghang stehen, kann sie sich entweder auf die Ski im Vordergrund konzentrieren oder aber auf den Berg im Hintergrund. Wie genau dies im Gehirn abläuft, ist den kognitiven Neurowissenschaften noch immer ein Rätsel. Die Aktivität der Nervenzellen (und damit die Informationen, die sich per fMRT ermitteln lassen) könnten sich beispielsweise verändern, wenn die Aufmerksamkeit von einem Teil des Bildes auf einen anderen wechselt. Computermodelle, die von Vanderbilt-Forscher Tong entwickelt wurden, zeigen bereits erste Erfolge darin, vorherzusagen, wo die Aufmerksamkeit einer Testperson wirklich liegt.

Auf lange Sicht könnte die Technologie auch zur Untersuchung eher flüchtiger Phänomene wie dem Träumen des Menschen verwendet werden. "Bislang ist unklar, ob Prozesse wie die Vorstellungskraft oder das Träumen im Gehirn funktionell so ablaufen, wie dies bei der regulären Wahrnehmung der Fall ist", sagt Gallant. Sollte dem so sein, ließe sich die nun entwickelte Technik darauf direkt übertragen.

Noch ist es allerdings unmöglich, vollständig zu rekonstruieren, was eine Person gerade sieht. Entsprechende Forschungsprojekte existieren zwar bereits, doch sind sie stark durch die Auflösung bestehender Technologien eingeschränkt. Aktuelle Hirnscan-Verfahren besitzen eine räumliche Auflösung von rund einem Millimeter, ein Bereich, der bereits Hunderte von Nervenzellen enthalten kann, die jeweils einzeln auf visuelle Informationen reagieren könnten.

Eine der vielleicht umstrittensten Anwendungsgebiete von fMRT und Co. liegt in neuartigen Lügendetektoren – beispielsweise, um aus der Gehirnaktivität zu ermitteln, ob ein Verdächtiger einen Tatort vielleicht doch kennt, von dem er eigentlich behauptet, ihn niemals betreten zu haben. Die meisten Neurowissenschaftler glauben, dass bestehende Verfahren noch nicht genügend Daten liefern, um hier eine verlässliche Auskunft zu geben. Auch Gallant glaubt nicht, dass sein Ansatz dabei hilft. "Jedes Gerät, das versucht, gespeicherte Erinnerungen zu dekodieren, hat nicht nur mit den Defiziten der Technologie zu kämpfen, sondern auch mit der Qualität der Erinnerung des Menschen selbst." (bsc)