Wachsame Halskette

Ein magnetbasiertes Sensorsystem soll Kranken dabei helfen, stets die richtige Dosis ihrer Medikamente einzunehmen.

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Von
  • Anna Davison

Eine Halskette mit einer Ansammlung magnetischer Sensoren soll vergesslichen Patienten künftig helfen, stets ihre Medikamente einzunehmen – und Ärzten wie Pflegern die Gewissheit verschaffen, dass alles Verschriebene auch wirklich geschluckt wurde.

Das von Ingenieuren am Georgia Institute of Technology entwickelte System nennt sich "MagneTrace" und kann ganz genau festhalten, ob eine zuvor magnetisierte Pille oder Kapsel durch die Speiseröhre des Patienten gerutscht ist. Die Informationen werden dann an ein Smartphone oder einen Mini-Rechner geschickt. Das System kann die Patienten außerdem daran erinnern, wenn sie ihre Präparate nicht zum vorgeschriebenen Zeitpunkt einnehmen. Auch das medizinische Personal oder die Familie lassen sich informieren.

Die Forscher hoffen, dass die medizinische Halskette ernste Probleme bei den Betroffenen verhindern kann, die durch vergessene Einnahmen entstehen. Auch dürften klinische Studien mit höherer Präzision durchgeführt werden, wenn stets sichergestellt wird, was geschluckt wurde. Und nicht zu vergessen ist, wie viele Milliarden jedes Jahr für weggeworfene Medikamente verschwendet werden – die könnte man so eventuell einsparen.

"Das ist wirklich ein großes Problem", sagt Maysam Ghovanloo, Juniorprofessor am Institut für Elektro- und Computertechnik an der Hochschule, der vor zwei Jahren bereits an der North Carolina State University mit dem Projekt begonnen hat. Er entwickelte das MagneTrace-Gerät zusammen mit seinem Masterstudenten Xueliang Huo. Die Statistik ist eindeutig: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO werden rund die Hälfte aller Medikamente nicht verschreibungsgemäß eingenommen. Es gibt zwar bereits andere Werkzeuge auf dem Markt, die versuchen, das Einnahmeprozedere zu kontrollieren – etwa Pillendosen, die aufzeichnen, wann sie geöffnet wurden. Daraus lasse sich aber nie genau schließen, ob ein Medikament auch tatsächlich eingenommen worden sei, meint Ray Bullman, Vizepräsident des gemeinnützigen amerikanischen Rates für Patienteninformation, der sich für eine sichere Medikamenteneinnahme einsetzt. MagneTrace bringe die Sache nun einen echten Schritt voran.

Andere Forscher arbeiteten bereits an einem System, das einen fluoreszierenden Farbstoff verwendet, der der Medizin beigemischt wird – es lässt sich dann verfolgen, wenn der Wirkstoff in den Blutkreislauf übertritt. Die Langzeitauswirkungen solcher Chemikalien seien aber noch überhaupt nicht geklärt, warnt Ghovanloo.

Die Mini-Magneten, die innerhalb des MangeTrace-Systems in Pillen und Kapseln eingebacken werden, sind rund, ungefähr zweimal so groß wie der Kopf einer Stecknadel und mit einem harmlosen, unlöslichen Polymer überzogen. Sie verlassen laut der Wissenschaftler innerhalb eines Tages den Körper wieder. Die überzogenen Magnete seien so schwach, sagt Ghovanloo, dass sie nie zu einer Anreicherung und damit zum Beginn einer Verstopfung führen könnten – und zwar selbst wenn sie den Verdauungstrakt eines Patienten zur gleichen Zeit erreichten, sagt der Forscher. "Die Magnete haben keinerlei Auswirkungen auf den menschlichen Körper."

Die MagneTrace-Pillenkette, die ungefähr 28 Gramm wiegt, enthält die gleichen magnetischen Sensoren, wie man sie beispielsweise in einem GPS-Empfänger findet. Sie sind in Paaren um die Halskette angeordnet – drei Sensoren vertikal, drei horizontal. Zusammengenommen können sie jeden der kleinen Magnete erkennen, der in Pillen und Kapseln steckt – und zwar während seiner Reise durch die Speiseröhre. Die Sensoren werden von einem Kontrollgerät gesteuert, das einen Funksender enthält, der Daten an ein Smartphone oder einen Computer schicken kann. Dort wird dann aufgezeichnet, wann die Pille eingenommen wurde und wie viel Stück es waren. Diese Informationen können dann an den Arzt, den Pfleger oder Familienmitglieder übertragen werden, die dann sofort informiert sind, wenn es zu Unregelmäßigkeiten kommt.

Austricksen kann man das Gerät nicht – der Algorithmus ist laut Ghovanloo schlau genug, nur Medikamente aufzuzeichnen, die auch tatsächlich durch die Speiseröhre rutschen (und damit durch den Sensoren-Ring). In anderen Regionen des Körpers wird erst gar nicht geschaut. "Wir wollten das Gerät so gestalten, dass man nicht schummeln kann", sagt Ghovanloo. Er und Huo haben außerdem als Alternative einen Patch entwickelt, den Patienten tragen können, denen Halsketten nicht gefallen.

Um das Gerät zu testen, konstruierten die Forscher einen Kunstkopf. Dazu wurde ein PVC-Rohr vom gleichen Durchmesser eines menschlichen Halses verwendet, in dem Kunststoff-Trinkröhrchen steckten. Die Halskette wurde um die Röhre gelegt. Dann wurden die magnetisierten Pillen in verschiedenen Ausrichtungen "eingenommen", um herauszufinden, wie viele Sensoren notwendig waren, um sie nachzuverfolgen. Auch der Algorithmus ließ sich so optimieren. In diesem Test ergab sich eine Genauigkeit von 94 Prozent. Die Anzahl falscher Positive, die auftraten, wenn sich eine Pille außerhalb des künstlichen Halses befand, lag hingegen nur bei sechs Prozent. "Wir glauben, dass wir das auch noch verbessern können", meint Ghovanloo.

Neben der Nutzung bei Patienten, die Hilfe benötigen, könnte die Technik auch bei klinischen Studien eingesetzt werden. Dort müssen sich die Forscher noch ganz auf die Aussagen der Teilnehmer verlassen – und die stimmen nicht immer, auch wenn ältere oder vergessliche Versuchspersonen in der Studie sind. Auch Zwangsverordnungen sind so kontrollierbar, beispielsweise die Medikation von Patienten mit ansteckenden Krankheiten oder ernsten psychiatrischen Störungen.

Auch Menschen, die sich aus anderen Gründen vor der Einnahme drücken – etwa aus Angst vor Nebenwirkungen –, würden so kontrollierbar. Auch wer nicht versteht, wann er etwas einzunehmen hat und mit welcher Dosis, könne so auf Kurs gebracht werden, mein Patrice Slojkowski, Krankenschwester am San Diego Medical Center. Dort setzt man bislang nur ein Barcode-System ein, mit dem das Personal sicherstellen kann, dass die richtigen Medikamente gegeben wurden – und zu welcher Zeit. "Ich glaube, dass eine Entwicklung wie diese wahrscheinlich sehr erfolgreich wäre."

Olga Klibanov, klinische Dozentin an der Temple University School of Pharmacy, die mit AIDS-Patienten arbeitet, würde sich ebenfalls über ein solches Hilfsmittel freuen. Einige ihrer Patienten verstünden ihre Krankheit und ihre Medikamente nicht oder hätten Alkohol- oder Drogenprobleme, die sie an der regelmäßigen Einnahme hinderten. Aktuell versucht Klibanov es noch mit erzieherischen Maßnahmen und empfiehlt, Uhren oder Handys zu stellen. Ein automatisches Kontrollsystem würde aber viel besser funktionieren, meint die Expertin. (bsc)