Milzbrand-Schnelltest in drei Minuten
Ein neuer Gefahrendetektor setzt auf lebende Zellen, die innerhalb kürzester Zeit anzeigen sollen, ob Bioterrorismus-Alarm ausgelöst werden muss.
- Katherine Bourzac
In den USA ist seit Kurzem ein Sensorsystem auf dem Markt, das laut Hersteller in hoher Geschwindigkeit sechs mögliche Bioterror-Gefahrstoffe identifizieren kann. Der Detektor nutzt dabei lebende Immunzellen, die gentechnisch so verändert wurden, dass sie Licht abgeben, wenn sie einen bestimmten Erreger entdecken – darunter auch Milzbrand. Zwischen Probenentnahme aus der Luft und dem Ablesen des Ergebnisses sollen gerade einmal drei Minuten vergehen. Der Hersteller Innovative Biosensors aus dem amerikanischen Rockville vermarktet das Gerät für die Verwendung auf Flughäfen und in anderen öffentlichen Gebäuden sowie in Laboren, wo man mit gefährlichen Erregern umgeht.
Beim Erkennen von Bioterrorismus-Gefahren muss es stets schnell gehen: Bakterien wie der Milzbrand-Erreger stellen bereits nach zwei bis drei Minuten ein Infektionsrisiko da. Um so wichtiger ist es, dass ein Gebäude schnell evakuiert und der Gefahrstoff eingeschlossen werden kann. "Wir nutzen die schnellste Erregererkennung, die es derzeit auf dem Markt gibt", sagt James Harper, Forscher am MIT Lincoln Laboratory, wo die Technologie in den späten Neunzigerjahren von dem Wissenschaftler Todd Rider entwickelt wurde. "Im Körper binden sich B-Zellen innerhalb von Sekunden an den Eindringling und lösen eine Immunantwort aus."
Der Innovative Biosensors-Detektor setzt auf B-Zellen von Mäusen, die sich beliebig anpassen lassen – und zwar für jeden Erreger, für den es Antikörper gibt. Das Gerät wird anfangs allerdings nur sechs davon unterscheiden können: Das Pocken-Virus, die Toxine Botulinum und Rizin, Milzbrand und zwei andere Bakterien. Die B-Zellen werden dazu in Taschen eingeschoben, die sich auf einer Scheibe von der Größe einer CD befinden. Diese Scheiben werden dann wiederum in einen Detektor geladen, der Gebläse, ein Bilderkennungssystem und einen Rechner zur Verarbeitung enthält.
Wird der Detektor eingeschaltet, saugt das Gebläse zunächst die Luft an. Die darin enthaltenen Partikel werden in 16 Kammern im Bereich der Scheibe gesammelt. Dann beginnt sich die Scheibe mit hoher Geschwindigkeit zu drehen, die Zellen werden freigesetzt und zu den möglichen Gefahrenstoffen transportiert. Ist der Erreger, auf den die Zellen abgestimmt sind, präsent, geben sie ein blaues Licht ab. Der Detektorrechner nutzt dann eine Software, um das Lichtniveau in den Kammern zu analysieren und stellt so fest, ob Bioterror-Alarm gegeben werden muss. Die Rohdaten seien dabei sehr komplex, meint Lincoln-Lab-Forscher Joseph Lacirignola, doch die Algorithmen ergäben schließlich eine klare Ja- oder Nein-Antwort.
Das System kann 16 Tests gleichzeitig durchführen – jeweils einen in jeder Kammer der Scheibe. Dabei übernehmen jeweils mindestens zwei Kammern einen Erregertyp, um Fehltreffer auszuschließen. Das Lincoln-Lab-System kann Milzbrand und andere Gefahrstoffe in Konzentrationen von weniger als zehn Teilchen pro 30 Liter Luft erkennen. Jede Scheibe lässt sich allerdings nur jeweils einmal verwenden.
Der Detektor kann nach jedem Lesevorgang automatisch eine neue Scheibe nachlegen. Das Gerät muss aber nicht ständig laufen – ein anderes, weniger genaues Erkennungswerkzeug, das ebenfalls am Lincoln Lab entstand, ist in der Box ebenfalls integriert. Es setzt auf ultraviolettes Licht und aktiviert erst dann das Zell-Testsystem, wenn ein potenzielles Biomolekül entdeckt wurde.
Das einzeln unter dem Namen "Bioflash" vermarktete System soll als erste Alarmstufe dienen. Die Identifizierung von Erregern mit anderen Prozessen wie der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) kann eine gute Stunde dauern – inklusive Vorbereitung der Proben. Allerdings kann man dabei genauere Informationen über Viren und Bakterien sammeln, weil stets ein bestimmter Bereich genetischen Materials identifiziert wird.
B-Zellen können Gefahren wie Bakterien und Viren identifizieren, weil sie Antikörper auf ihrer Oberfläche besitzen. Andere Erkennungstechnologien setzten ebenfalls auf Antikörper, sagt Paul Schaudies, Präsident und CEO von GenArraytion, einer weiteren jungen Firma aus Rockville, die ebenfalls an Detektoren arbeitet. Einzigartig an der MIT-Technologie sei nun aber, dass sie das schnelle Reaktionsvermögen lebender Zellen ausnutze.
Sobald Antikörper auf der Oberfläche einer B-Zelle mit ihrem Ziel in Kontakt kommen, wird eine Kaskade aus sich selbst verstärkenden chemischen Signale in der Zelle losgetreten. Ein Ergebnis ist der Zufluss von Kalzium-Ionen. Rider fand einen Weg, dies für sich auszunutzen. Er veränderte Mäuse-B-Zellen gentechnisch so, dass sie Kalzium-empfindliche fluoreszierende Enzyme produzierten. Werden diese Enzyme der Klasse Aequorine nun durch das Kalzium in der Zelle aktiviert, reagieren sie mit einem anderen, aus der Qualle entnommenen Stoff, dem Coelenterazin. Eines der Produkte dieser Reaktion ist besagtes blaues Licht. (Bislang konnte das Lincoln Lab allerdings noch keine B-Zellen schaffen, die ihr eigenes Coelenterazin produzieren – stattdessen werden die Zellen mit dem Stoff "vorgeladen".)
Die gentechnisch veränderten B-Zellen in den Scheiben können gekühlt sechs Wochen überleben, bei Raumtemperatur immerhin eine. Ein System, das auf lebende Zellen statt nur auf Proteine und andere chemische Reagenzien setzt, habe nicht nur den Vorteil, dass die Zellen empfindlich und schnell auf Erreger und Giftstoffe reagierten, meint Erfinder Rider. "Sie wachsen auch wie Unkraut." Im Gegensatz zu Detektor-Materialien, die nur auf Proteinen basieren (wie etwa reine Antikörper-Formeln), können die zellbasierten Geräte sich sozusagen selbst erneuern.
Innovative Biosensors hält geheim, wem es seine Geräte in der ersten Runde verkauft. Richard Thomas, Manager bei der Firma, gibt jedoch an, dass es einen Vertrag mit dem US-Verteidigungsministerium gibt, in dem es um die Absicherung von Gebäuden in Washington geht.
Während das erste Gerät also auf den Markt kommt, forschen die Lincoln-Lab-Wissenschaftler weiter, um neue Anwendungsfelder zu erschließen. Eines der Projekte sind laut Rider Zellen, die auch ohne Kühlung länger überleben. Demonstriert wurden die Detektoren bereits in unterschiedlichster Konfiguration – sie erschnüffelten Giftstoffe und Erreger in Wasser, der Luft und in Nasenschleimhaut-Abstrichen. Auch die medizinische Diagnose könnte ein neues Nutzungsgebiet werden. (bsc)