Sanfter Neustart für das depressive Gehirn

Forscher in Israel arbeiten an einer noninvasive Methode, Nervenzellen, die tief im Hirn liegen, elektrisch zu stimulieren.

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Von
  • Jennifer Chu

Die Behandlung des Gehirns mit Stromstößen gilt bei Menschen mit schweren, sonst nicht heilbaren Depressionen noch immer als einer der wenigen Therapiewege. Während normale Antidepressiva bei dieser Patientengruppe wenig oder gar nicht (mehr) wirken, kann die so genannte Elektrokrampftherapie (ECT) eine Art "Neustart" des Denkorgans auslösen und Menschen aus ihrem depressiven Zustand holen – zumindest für einige Zeit. Die wenig sanfte ECT kann aber auch ernsthafte Nebenwirkungen hervorrufen, beispielsweise Gedächtnisverlust

Israelische Forscher wollen nun einen weniger problematischen Ansatz nutzen, um das Gehirn elektrisch zu stimulieren. Die Technik, die sich Transkranielle Magnetstimulation (TMS) nennt, setzt ein externes Magnetfeld ein, um elektrische Ströme innerhalb des Hirns zu erzeugen. Bis vor Kurzem ließen sich mit TMS nur weniger tief gelegene Bereiche des Gehirns stimulieren. Das Jerusalemer Unternehmen Brainsway hat nun eine TMS-Methode entwickelt, die weiter vordringen können soll und damit auch Regionen stimuliert, die mit Depressionen und anderen neurologischen Erkrankungen in Verbindung stehen. Sollte die Technik wie geplant funktionieren, könnte sie eine neue Alternative für einen Großteil der Patienten mit schweren Depressionen darstellen, bei denen Antidepressiva nicht anschlagen.

Die Brainsway-Technologie baut auf traditionellen TMS-Methoden auf, bei denen elektromagnetische Spulen in der Nähe der Kopfhaut platziert werden. Eine externe Quelle generiert einen elektrischen Strom, der durch die Spule fließt und so ein leistungsstarkes Magnetfeld erzeugt, das durch den Schädel ins Gehirn eindringen kann. Innerhalb des Gehirns bilden diese elektromagnetischen Wellen wiederum elektrische Ströme, die die in der Nähe befindlichen Nervenzellen stimulieren können. Dies aktiviert die daran anschließenden Nervennetzwerke und kann dabei helfen, dass verloren gegangene Verbindungen erneut geknüpft werden.

Eine große Einschränkung bei TMS war jedoch bislang die Natur ihrer magnetischen Felder: Die Wellen verlieren sich nach einer kurzen Distanz schnell wieder. Diese Einschränkung führt dazu, dass TMS nur Gehirnbereiche erreichen kann, die einen Zentimeter unter der Schädeldecke liegen. Um tiefere Segmente des Denkorgans zu erreichen, müssten die Forscher die Stromstärke erhöhen, die durch die Spule fließt. Das wäre womöglich äußerst schmerzhaft und könnte gar Gewebeschädigungen hervorrufen.

Abraham Zangen, einer der beiden Erfinder des von Brainsway entwickelten, so genannten Tiefen-TMS, entwickelte stattdessen eine neue Spulenkonfiguration, mit der es möglich sein soll, Nervenzellen in einer Tiefe von bis zu vier Zentimetern anzuregen – und zwar mit der gleichen Stromstärke wie bei Standard-TMS. Statt nur auf eine Spule zu setzen, die ein einzelnes Magnetfeld generiert, entwickelten Zangen und sein Team einen Helm, der eine Reihe kleinerer Spulen enthält, die jeweils ihr eigenes Magnetfeld erzeugen. Schicken die Forscher nun TMS-Stromstärken durch den Helm, produzieren die Spulen, die in Serie geschaltet sind, mehrere Magnetfelder, die sich ergänzen. So entsteht zusammengenommen ein wesentlich stärkeres Magnetfeld, das tiefer in das Gehirn eindringt, bevor es sich wieder abbaut.

Zangen und sein Team haben den Helm bereits an einer Gruppe von 50 Versuchspersonen mit schweren Depressionen getestet, bei denen Antidepressiva nicht anschlagen. Bei einer klinischen Doppelblindstudie wurde der Hälfte der Patienten das Tiefen-TMS mit Stromstärken verabreicht, die mit Standard-TMS vergleichbar waren – an fünf Tagen die Woche, vier Wochen lang. Die zweite Gruppe erhielt eine ähnliche Behandlung mit geringerer Stromstärke. Jede Sitzung dauerte dabei rund 20 Minuten. Die Patienten trugen den Helm, und die Forscher verabreichten kontinuierlich jeweils zwei Sekunden lange elektrische Impulse. Nach dem Experiment gaben 50 Prozent der Patienten, die die intensiveren Stromstärken erhalten hatten, deutliche Verbesserung bei Schlafverhalten, Appetit und allgemeiner Stimmungslage an. Die Kontrollgruppe stellte hingegen gar keine Verbesserung fest. Außerdem zeigten die meisten der behandelten Personen in kognitiven Tests zudem eine geringere Depressionsneigung. "Wir konnten eine verbesserte Stimmung und mehr Optimismus beobachten", sagt Zangen, "einige der Patienten, die zuvor nur zuhause saßen und nichts mehr tun konnten, kehrten an ihre Arbeitsstelle zurück".

Brainsway ist derzeit dabei, Genehmigungen bei europäischen und amerikanischen Gesundheitsbehörden einzuholen, um das Tiefen-TMS als Therapiewerkzeug für Depressionen und andere gehirnspezifische Krankheiten vermarkten zu können. Zangen erwartet eine Zulassung für Europa in den nächsten Monaten. Vor einem Verkaufsstart in den USA muss die Technologie jedoch noch lokal an wesentlich größeren Patientengruppen getestet werden. Klinische Studien sollen dementsprechend bald an verschiedenen US-Krankenhäusern beginnen, darunter an der Johns Hopkins University und der Harvard Medical School.

Das Unternehmen arbeitet außerdem an anderen Spulenvarianten, um Gehirnregionen ansprechen zu können, die mit anderen Erkrankungen in Verbindung stehen, etwa dem posttraumatischen Stresssyndrom, dem Autismus oder der Drogensucht. Zangen glaubt, dass die Technologie neben der Stimulation von bei Depressiven wenig aktiven Gehirnregionen auch als Möglichkeit genutzt werden könnte, Nervenzellbereiche zu behindern, die abnorm überaktiviert sind, etwa bei Süchtigen. "Die Idee dabei ist, dass man Verbindungen reduziert, die bei einer Sucht entstehen und auch einige Synapsen zu schwächen, die mit dem Belohnungssystem zu tun haben", meint Zangen. Dies könne man womöglich mit einer Stimulation auf niedrigeren Frequenzen erreichen.

Alvaro Pascual-Leone, Direktor des Zentrums für noninvasive Gehirnstimulation am Beth Israel Deaconess Medical Center, ist da etwas kritischer. Er meint zwar, dass Tiefen-TMS positive Auswirkungen bei depressiven Patienten haben könnte. Doch die Technik wirke nicht bei jedem gleich. Forscher müssten daher einen Weg finden, sie an die jeweils betroffene Person anzupassen.

"Noch ist unklar, wie man aus TMS ein optimales Antidepressiva-Werkzeug für jeden einzelnen Patienten macht", sagt Pascual-Leone. Dennoch sei das Brainsway-Produkt der erste erfolgreiche Versuch, Spulen herzustellen, die tief genug ins Hirn wirken können. Allein das sei aufregend. (bsc)