"Das ist kein Gimmick"

Rapid Prototyping war gestern, Rapid Manufacturing ist heute. Wie die Nischentechnologie in Zukunft Produktion und Design verändern könnte, verrät Terry Wohlers, Herausgeber des führenden Branchenreports, im Interview.

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Von
  • Niels Boeing
Inhaltsverzeichnis

In den Achtzigerjahren wurden mit dem so genannten Rapid Prototyping einfache Prototypen für die Industrieproduktion hergestellt. Dabei werden Objekte so aufgebaut, dass ein computergesteuerter Laserstrahl anhand der 3D-Objektdaten Kunstharze oder Stahlpulver Schicht für Schicht erhärtet. Das Objekt wächst gewissermaßen in der Maschine heran. Inzwischen ist die RP-Technik so weit fortgeschritten, dass man bereits Endprodukte damit fertigen kann und deshalb von Rapid Manufacturing spricht. Der Weltmarkt für Maschinen und Dienstleistungen ist mit einem Volumen von 1,1 Millarden Dollar allerdings immer noch bescheiden.

Dokumentiert wird die Entwicklung im jährlichen Wohlers Report von Wohlers Associates, der als Pflichtlektüre für die Branche gilt. Technology Review sprach mit Herausgeber Terry Wohlers auf dem EOS International User Meeting über den Stand der Technik, neue Geschäftsmodelle und die drastischen Veränderungen, die das Rapid Manufacturing für Design und Produktion in den kommenden Jahren bringen könnte.

Technology Review: Herr Wohlers, derzeit dürften noch die wenigsten etwas mit dem Konzept des Rapid Manufacturing anfangen können. Sie sprechen allgemeiner von “Additive Fabrication” und fassen damit alle Verfahren zusammen, schichtweise Objekte zu fertigen. Wie lange, schätzen Sie, dauert es noch, bis diese neue Produktionsweise sich in der breiten Öffentlichkeit herumspricht?

Terry Wohlers: Es gibt bereits Beispiele, bei denen Produkte mittels Additive Fabrication hergestellt werden, zum Beispiel von der belgischen Firma Materialise.MGX. Diese Firmen haben allerdings noch Schwierigkeiten, ihre Designobjekte unter diesem Etikett zu verkaufen, weil die Öffentlichkeit das Besondere daran nicht zu schätzen weiß. Im Moment müssen die Verkäufer den Kunden noch den Produktionsprozess erklären. Wenn es dann Klick gemacht hat, sind die ganz erstaunt: “Oh, so was können Sie machen?”

Deshalb wird es auf einen großen Gerätehersteller ankommen, Additive Fabrication populär zu machen. Die meisten Unternehmen beobachten die Entwicklung ja schon länger. Einige arbeiten selbst daran und haben bereits Patente angemeldet. Wenn die sich entscheiden, damit an den Markt zu gehen, werden sie wahrscheinlich einen günstigen 3D-Drucker anbieten.

Eine erste Anwendung könnte der Druck von Videospiel-Figuren sein, etwa aus dem Onlinespiel “World of Warcraft” (WoW), das zehn Millionen registrierte Mitglieder hat. Ein Indikator, dass das langsam den Verbrauchermarkt erreicht, ist die Firma FigurePrints, die WoW-Figuren produziert. Bei denen schicken sie die Daten Ihrer Figur ein, und die wird dann mittels Additive-Fabrication-Technologie hergestellt.

TR: Einige Beobachter der Szene vergleichen den jetzigen Stand der Additive Fabrication mit der Computertechnik Mitte der Siebzigerjahre, als die ersten PCs herauskamen. Danach wäre es nur eine Frage der Zeit, bis wir auch in der Produktion den Übergang von großen Industriemaschinen zu billigeren, individuell nutzbaren vollziehen. Was halten Sie davon?

Wohlers: Diese Parallele kann man auf jeden Fall ziehen. Mainframe-Rechner waren eine Technologie, die abgeschlossen, proprietär, zentralisiert und schwierig zu nutzen war. Und das nur für Leute, die überhaupt einen Zugang dazu hatten. Fast alle diese Eigenschaften treffen auch auf die großen und teuren Additive-Fabrication-Maschinen von heute zu. In den frühen Siebzigern kamen die ersten Mini-Computer, und der nächste Schritt waren dann die Unix-Workstations von Apollo, Sun und Hewlett-Packard. Später folgten der PC und der Laptop, und heute haben wir Geräte wie das iPhone. Bis jetzt haben wir aber noch nicht einmal das PC-Äquivalent der Additive Fabrication gesehen.

TR: Im vergangenen Jahr hat die US-Firma Desktop Factory ein Gerät für knapp 5000 Dollar angekündigt. Ist das ein Gimmick oder ernstzunehmen?

Wohlers: Ich bin bei Desktop Factory gewesen und habe mich mit Cathy Lewis, ihrem CEO, getroffen. Sie war vorher bei Xerox Colour Printing und Vice President für das weltweite Marketing. Sie kommt zwar nicht aus der Produktionstechnik, aber ich glaube, Cathy packt die Sache richtig an, indem sie hart daran arbeiten, dass die Technologie funktioniert, bevor sie mit dem Produkt herauskommen. Bei 5000 Dollar ist die Marge nicht sehr groß. Das ist schon ziemlich ehrgeizig. Die müssen eine Menge Geräte verkaufen, um richtig zu verdienen. Sie könnten aber Umsatz machen, wenn sie die Kunden dazubekommen, das Druckmaterial auch von ihnen zu beziehen.

Ist das nun ein Gimmick? Nein, das ist wirklich ein ernstzunehmender Versuch. Marktreif? Auch nein, denn Entwicklungen wie diese brauchen in der Regel drei bis fünf Jahre, um wirklich etwas zu taugen. Die Firma muss noch an der Qualität der gedruckten Teile arbeiten, etwa an der Detailschärfe oder der Oberflächenbeschaffenheit. Andererseits kostet das Gerät nur 5000 Dollar, und einige Kunden werden bei diesem Preis über Einbußen in der Qualität hinwegsehen. Das ist eine interessante Entwicklung. Die entscheidende Frage ist aber: Können sie damit ein Geschäft machen?

TR: 3D-Drucker machen inzwischen den größten Teil des Additive-Fabrication-Marktes aus. Auch die Maschine von Desktop Factory ist ein 3D-Drucker. Ist es dieses Segment, das zuerst ein Massenmarkt wird? In der Industrie bezweifeln ja einige, dass es je so weit kommt.

Wohlers: Es ist schwer zu sagen, ob das Desktop-Factory-Gerät schon die Antwort ist. Zunächst werden wir erst einmal Dienstleister sehen, die mit Hilfe solchen solchen Maschinen personalisierte Objekte an die Kunden verkaufen. Einige Firmen wie Freedom of Creation oder Materialise.MGX haben ja bereits damit begonnen.

TR: Im Moment ist Additive Fabrication noch eine Nischentechnologie. Könnte sie in 10, 20 Jahren ein disruptives Potenzial für die Industrieproduktion insgesamt entfalten?