Bioinformatik

Um die im Labor anfallenden Datenmassen zu verwalten und zu verstehen, sind Computer, Mathematik und Informatik zu unverzichtbaren Werkzeugen geworden.

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Von
  • Claudia Wessling
  • Sascha Karberg

Erst 0, jetzt 1: Vor ein paar Monaten ist Silke Sperling zum ersten Mal Mutter geworden. Ihren Job als Leiterin der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Kardiovaskuläre Genetik“ am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin hat die 37-Jährige trotzdem kaum unterbrochen. Denn den Spagat zwischen zwei Welten ist sie gewohnt: Wer computerfixierte Mathematiker und Informatiker einerseits und für Mäuse und Reagenzgläser schwärmende Biologen und Biochemiker andererseits unter einen Hut bekommt, ist bestens trainiert, um auch noch Stillen, Schlafentzug und Windelwechseln mit dem Arbeitsalltag zu vereinbaren.

Ohne Mathematik und Informatik geht in der biomedizinischen Forschung gar nichts mehr. Ob beim Entziffern des Erbguts von Organismen, der Fahndung nach krankheitsauslösenden Genen, der Analyse des Zusammenspiels von regulatorischen Proteinen und Genen, der Entwicklung von Medikamenten inklusive Nebenwirkungsanalyse oder dem Simulieren von Lebensvorgängen – überall müssen Massen von Daten verwaltet, interpretiert oder neu arrangiert werden. Pipette, Petrischale und Mikroskop allein reichen nicht mehr zum Erkenntnisgewinn, heute gehören auch Algorithmen und mathematische Konzepte wie „Divide-and-Conquer“, „Pattern Matching“ oder „Versteckte Markovketten“ zu den Werkzeugen von Biowissenschaftlern.

Denn die Pharma-Unternehmen haben längst erkannt, dass das virtuelle Durchsuchen von Wirkstoff-Datenbanken und die Simulation ihrer Wirkung am Computer massiv helfen, Kosten zu senken: Laut den Unternehmensberatern von Cap Gemini Ernst & Young lassen sich mit bioinformatischer Hilfe rund zehn Prozent der Entwicklungszeit eines Medikaments – entsprechend 50 Millionen Dollar – einsparen. Viele Bioinformatik-Firmen wurden in den vergangenen Jahren zu Kaufobjekten – so übernahm etwa Roche das US-Unternehmen 454 Life Sciences, Wyeth kaufte Haptogen, und PerkinElmer schnappte sich Viacell. Andere Konzerne wie etwa BASF haben eigene Bioinformatik-Abteilungen aufgebaut. Der Weltmarkt für Bioinformatik-Dienste wird inzwischen auf zwei Milliarden Dollar taxiert; bis 2010 soll der Umsatz auf drei Milliarden US-Dollar wachsen, noch optimistischere Prognosen gehen sogar von fünf bis sechs Milliarden Dollar aus.

Die Bioinformatik besteht aus vier Bereichen: die Analyse von Erbgutsequenzen, die computergestützte Untersuchung von Molekül-, Zell- oder Organstrukturen, die Erkennung von Mustern in Datensätzen und das Management umfassender biomedizinischer Forschungsergebnisse in Datenbanken. Während sich laut Ernst & Young 26 Prozent der deutschen Bioinformatik-Firmen mit Datenmanagement und -analyse befassen, versuchen 34 Prozent vor allem, der Datenflut aus der Erforschung von Erbgut, Proteinen oder Stoffwechselprozessen Herr zu werden. Das hat seinen Grund, denn Deutschlands Einstieg in die Genomforschung in den 90er-Jahren war gleichzeitig der Startschuss für den Siegeszug der Bioinformatik. Plötzlich bestand dringender Bedarf an Experten, die mit den anfallenden Daten umzugehen wussten. Inzwischen sorgen diverse Studiengänge dafür, dass jährlich bis zu 250 Bioinformatiker ihre Ausbildung abschließen. ... (kd)