Mehr Leistung für das Gehirn

Mit Hilfe milder elektrischer Stimulation wollen Forscher Menschen ein schnelleres Lernen ermöglichen.

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Von
  • Emily Singer

Einen kleinen Boost für unser Gehirn könnten wir alle ab und zu gebrauchen. Forscher am Nationalinstitut für neurologische Krankheiten und Schlaganfallforschung im amerikanischen Bethesda untersuchen derzeit eine Methode, die das Lernen erleichtern soll – mit Hilfe elektrischer Ströme, die am Kopf angelegt werden. Kleinere Untersuchungen hatten zuvor gezeigt, dass dieser Ansatz den Bewegungsapparat und den Redefluss verbessern kann, außerdem sogar das Erlernen neuer Sprachen.

Um herauszufinden, wie wirksam eine solche Stimulation tatsächlich als Lernhilfe sein kann, testete Eric Wassermann, Forscher an dem Institut, die so genannte transkranielle Gleichstromstimulation, kurz TDCS. Bei dieser dringt ein elektrischer Strom direkt durch die Kopfhaut und den Schädel in das Gehirn vor. Die dabei verwendete Technologie existiert bereits seit Jahrzehnten und ist eigentlich recht plump – so sollte sie etwa in den Sechzigerjahren gegen psychiatrische Krankheiten verwendet werden, ohne dass sich Erfolge wirklich nachweisen ließen. Im Gegensatz zur Elektrokrampftherapie, die einem Anfall gleichkommt und die gegen schwere Depressionen verwendet werden kann, spürt der Patient bei TDCS nur ein leichtes Kribbeln.

Das Behandlungsgerät ist schnell erklärt: Eine 9-Volt-Batterie wird an einen großen, flachen Schwamm angeschlossen, der zuvor angefeuchtet wurde. Diese Apparatur wird dann an den Kopf angelegt. Anschließend werden milde 2 bis 2,5 Milliampere Strom über eine 20 bis 50 Quadratmillimeter große Region der Kopfhaut verbreitet – bis zu 15 Minuten lang. Nur wenig dieses Stroms erreicht das Gehirn wirklich, rund die Hälfte wird vom Zielbereich weggelenkt und die andere Hälfte verflüchtigt sich auf dem Weg unter den Schädel recht schnell.

Wassermann und sein Team konzentrierten sich bei ihrer Untersuchung auf einen Gehirnbereich, der sich dorsolateraler präfrontaler Kortex nennt – hier werden Organisations- und Planungsaufgaben wahrgenommen, aber auch mit dem Arbeitsgedächtnis interagiert. Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren hatte man zuvor herausgefunden, dass dieses Segment zudem mit der Merkfähigkeit zu tun hat. Deshalb glaubt Wassermann auch, dass ein elektrischer Boost hier die Lernleistung steigern kann.

Vorläufige Ergebnisse der Studie, die Teil eines größeren, von der US-Regierung finanzierten Projekts ist, zeigen, dass TDCS die Gedächtnisleistung von Versuchspersonen tatsächlich steigern konnte, die eine Liste von 12 Wörtern behalten sollten. Der Effekt war besonders in der ersten Lernphase deutlich: Anfangs erhielten die Teilnehmer die Liste immer und immer wieder vorgesetzt – und die behandelten Personen konnten sich mehr Worte merken. Allerdings holte die unbehandelte Gruppe später sehr schnell auf. "Wir wollen nun sehen, ob die Technik auch beim Erinnern hilft, nicht nur beim Speichern", sagt Wassermann. Allerdings sei das Ziel, die Stimulation allein beim Lernen zu verwenden.

Die vorläufigen Untersuchungen sollen zunächst dabei helfen, herauszufinden, wie wirksam die Technologie wirklich ist. "Wir fangen gerade an, darüber nachzudenken, ob dieser Ansatz eine Rolle bei der Verbesserung der Gehirnleistung gesunder Menschen spielen kann – und ob er ethisch vertretbar oder überhaupt notwendig ist", sagt Wassermann. Sein Interesse an der noninvasiven Gehirnstimulation wurde ursprünglich im Bereich der Behandlung neurodegenerativer Krankheiten geweckt. Funktioniert hat das bislang allerdings nicht. "Bei einem schwer beschädigten Gehirn ist der Effekt wahrscheinlich gleich null." Aus diesem Grund nahm der Forscher einen Strategiewechsel vor und begann, sich mit TDCS als Lernhilfe für Gesunde zu beschäftigen.

Noch ist kaum bekannt, wie die Technik konkret funktioniert. Es gibt die Theorie, dass geringe Spannungen die Nervenzellen im Hirn auf ihren Einsatz besser vorbereiten. "Vermutlich werden die Nervenzellen polarisiert und dadurch mehr oder weniger auf Eingaben vorbereitet", sagt Warren Grill, Neuroexperte an der Duke University. "Was auf der Ebene der Synapse passiert, wo das Lernen wirklich stattfindet, wissen wir allerdings nicht."

Weil die TDCS-Stimulation mit so geringen Strömen arbeitet, gilt sie als sicherer als andere noninvasive Alternativen wie die transkranielle Magnetstimulation. Dabei werden elektrische Spulen über dem Kopf platziert, die ein Magnetfeld produzieren, dass den Schädel durchdringt und Nervenzellen anregt – die Methode wird derzeit bei Schlaganfällen und anderen Gehirnerkrankungen getestet. Weil hier jedoch Nervenaktivitäten entstehen können, besteht das Risiko von Anfällen.

Ein Boost der Gehirnleistung mit Medikamenten wie Ritalin, das eigentlich gegen Aufmerksamkeitsstörungen verschrieben wird, ist derweil längst Alltag. Eine Umfrage, die im April in "Nature" veröffentlicht wurde, ergab, dass einer von fünf Befragten, die meisten davon aus Hochschulen und Wissenschaft, solche Wirkstoffe bereits für nichtmedizinische Anwendungen verwendet haben. Die elektrische Stimulation könnte aber leichter erreichbar sein. "Die Hälfte der Leute in diesem Raum könnten sich ein solches Gerät mit Teilen aus dem Elektronikladen selbst bauen", sagte Wassermann seinen Zuhörern kürzlich auf einer Neurotechnologie-Konferenz. (bsc)