Die neue Wellenkraft

Das Meer könnte in den nächsten Jahren zu einer unerschöpflichen Energiequelle werden. Doch noch ist unklar, welche Technik die beste ist.

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Von
  • Prachi Patel-Predd

Die Bewegungen der Ozeane besitzen genug Energie, um zwei Billionen Watt Elektrizität zu liefern, schätzt das Büro für Energieeffizienz und erneuerbare Energie im amerikanischen Energieministerium. Das Problem: Wie man diese enorme Stromquelle anzapfen kann, ist noch umstritten.

Ein neuer Generator zur Ausnutzung der Wellenkraft, den der britische Anbieter Checkmate SeaEnergy gerade entwickelt, könnte nun dabei helfen, einen Teil des riesigen Potenzials zu erschließen. Passend "Anaconda" genannt, handelt es sich dabei um eine lange, wassergefüllte Gummiröhre, die an beiden Enden geschlossen ist. Derzeit liegt die Technik nur in einem Labormodell vor, doch denkbar ist eine Länge von bis zu 200 Metern bei einem Durchmesser von sieben Metern. Auf dieses Maß skaliert soll es möglich werden, ein Megawatt Energie für gut 12 US-Cent pro Kilowattstunde zu erzeugen – das wäre zu anderen Wellenenergietechnologien mehr als konkurrenzfähig.

110 Tonnen Gummi sollen in der Megawatt-Anaconda verbaut werden. Damit wäre der Generator leichter und billiger als andere Konzepte auf dem Gebiet, wie John Chaplin, Professor für Bauingenieurwesen an der britischen University of Southampton sagt, der den Stromerzeuger gerade testet. Der einfache Aufbau mit wenigen beweglichen Teilen und Gelenken soll außerdem die Wartung erleichtern. Weil die Röhre biegsam ist, kann sie auch schweres Wetter überstehen. "Wir wissen noch nicht, wie sich Anaconda wirklich bei großen Wellen verhält, doch wir gehen davon aus, dass der Generator durchaus überlebensfähig wäre", meint Chaplin.

Das Projekt trifft allerdings auf viel Konkurrenz – einige Wettbewerbstechnologien werden bereits kommerziell umgesetzt. Das schottische Unternehmen Pelamis Wave Power hat so zum Beispiel ein schlangenartiges Gerät geschaffen, das bereits am Netz ist und seit 2004 vor der Küste Orkneys in Schottland arbeitet. Im vergangenen Oktober wurden von der Firma dann drei 750 Kilowatt-Anlagen vor der Küste Portugals installiert – 770 Tonnen schwere, 120 Meter lange Ketten aus Metallzylindern.

Andere Firmen wie Finavera Renewables aus dem kanadischen Vancouver, die schottische AWS Ocean Energy oder Ocean Power Technologies aus dem amerikanischen New Jersey testen unterdessen bojenartige Designs. Ein dritter möglicher Ansatz ist die Ausnutzung der Gezeitenkräfte.

Der Anaconda-Generator schwimmt horizontal ein kleines Stück unter der Oberfläche und ist an einem Ende am Meeresboden befestigt. Das andere Ende ist den Wellen abgewandt und enthält eine Turbine. Trifft eine Welle die Röhre, entsteht im Wasser, das sich im Inneren befindet, ebenfalls ein Wellenberg. Diese Wulst aus Wasser wandert die Röhre entlang – die Geschwindigkeit hängt jeweils von Durchmesser, Wandstärke und Elastizität des Materials ab. Die Röhre ist dabei stets so gestaltet, dass die innere Wulst sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie die äußere Welle bewegt. Das führt dazu, dass sich die Größe der Wasserwulst weiter verstärkt. Sie treibt dann schließlich mit Maximalgeschwindigkeit die Turbine an.

Chaplin testet derzeit ein Anaconda-Modell, das 25 Zentimeter breit und rund acht Meter lang ist. Bislang verhält es sich so, wie die einfache Theorie besagt, so der Forscher. Die Labortests werden insgesamt drei Jahre dauern.

Solche Wellengeneratoren könnten, wenn man sie etwa entlang der US-Küste aufbaut, dieser Form der erneuerbaren Energie enorm viel Schwung verleihen. Das zusammenhängende Gebiet der Vereinigten Staaten bietet Wellenenergieressourcen in Höhe von 2100 Terawattstunden pro Jahr – das entspricht der Hälfte des heutigen amerikanischen Stromverbrauchs, wie Roger Bedard vom Electric Power Research Institute sagt, das von der Stromindustrie finanziert wird.

Wie viel dieser Ressource tatsächlich ausgenutzt werden kann, ist jedoch noch völlig unklar, wie Bedard meint. Einer der Gründe dafür: Die Technologie ist noch sehr jung und wird von staatlichen Stellen im Vergleich zu Solar- und Windenergie noch wesentlich geringer unterstützt. Nicht nur in den USA kämen zudem noch große regulatorische und soziale Hürden bei der Umsetzung hinzu. Bedard schätzt deshalb, dass die mögliche maximale Energiemenge eher bei 250 Terawattstunden in den USA liegt. Das wäre immerhin genauso viel Strom, wie derzeit durch Wasserkraft erzeugt wird. (bsc)