Die gedopte Elite

Nicht unerhebliche Teile der Bevölkerung helfen schon heute ihrer Hirnleistung chemisch auf die Sprünge – mit zugelassenen Medikamenten oder mit illegalen Drogen. Pharmaunternehmen wittern einen interessanten Zukunftsmarkt.

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Lesezeit: 13 Min.
Von
  • Veronika Szentpetery
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Der IT-Spezialist will sich über die Zeit retten: „Er kommt seit fünf Jahren. Gerade gestern war er wieder da und wollte für weitere zwei Jahre fit gemacht werden. Danach will er in den Ruhestand gehen“, erzählt Professor Hinderk Emrich, Leiter der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Der Betroffene sei einerseits ein sehr leistungsstarker Mensch, andererseits von Depressionen und Angstzuständen geplagt. Eigentlich, sagt Emrich, hätte er schon lange nur eingeschränkt arbeiten dürfen, „aber er wollte die Familie ernähren“. Sein Patient griff zu Opiaten und Medikamenten. Fünf Jahre lang hielt er damit den Druck aus, dann brach er zusammen und suchte Hilfe bei Emrich.

Für Emrich bedeuten solche Fälle ein ethisches Dilemma: „Soll ich ihm helfen oder ihn nur wieder fit machen?“ Helfen hätte bedeutet, den Patienten für mehrere Wochen aus seiner Stresssituation herauszuholen. Aussetzen kam für den Mann allerdings nicht infrage – er wollte einfach nur wieder funktionieren. Emrich bestellte den Computerprofi schließlich für ein paar Tage in die Klinik, verschrieb ihm Medikamente gegen die Depression, die Angstzustände, die Schlafstörung und auch zur Leistungssteigerung, die ihn arbeitstauglich machen sollten, verknüpfte die Pharmabehandlung aber mit einer psychiatrischen Beratung. „Könnte er angstfrei leben, bräuchte er weniger Behandlung. Trotzdem will er sogar mehr leisten als andere. Es ging tatsächlich nicht nur um Symptomlinderung, sondern auch um Leistungssteigerung“, sagt Emrich.

Leistungssteigerung ist das Stichwort: Während der aktuelle Suchtbericht der Bundesregierung Medikamentenmissbrauch noch hauptsächlich als Problem alter Menschen darstellt, berichten Emrich und andere Ärzte von einer zunehmenden Zahl von organisch weitgehend gesunden Spitzenkräften, die nach Mitteln verlangen, mit denen sie noch besser werden oder das hohe Niveau dauerhaft halten können. Das gilt anscheinend vor allem für Leute vom Fach: In einer – nicht repräsentativen – Umfrage der Fachzeitschrift „Nature“ gab jeder fünfte Forscher an, schon mit Hirndoping experimentiert zu haben, zwölf Prozent betreiben es regelmäßig.

Das Bedürfnis, dem eigenen Gehirn chemisch auf die Sprünge zu helfen, ist alles andere als neu: Kaffee und Energiegetränke zum Wachbleiben, Traubenzucker für die Konzentration, Alkohol zum Entspannen und pflanzliche Präparate bei leichten Gedächtnisstörungen und Gemütsschwankungen sind so verbreitet wie gesellschaftlich akzeptiert. Dazu kommen in bestimmten Branchen illegale Drogen wie Kokain oder die Aufputschmittel Speed oder Ecstasy. Die beiden letzteren sind Derivate des einst als Anti-Asthma-Mittel entwickelten Amphetamins (siehe Grafik). Für Nachschub in dieser Richtung scheint gesorgt zu sein: Die Pharmaindustrie, immer auf der Suche nach lukrativen neuen Mitteln, bereitet laut einer Erhebung des Pharmaunternehmens Novartis nicht weniger als 600 neue Medikamente für bessere kognitive Fähigkeiten bei Krankheiten wie Alzheimer vor.

Noch ist das sogenannte Neurodoping hierzulande nicht die Regel. Doch Psychiater berichten, dass die Grenze zwischen Medikamenten und Drogen sowie zwischen krank und gesund verschwimmt – ähnlich wie zuvor schon der Unterschied zwischen Wiederherstellungsund Schönheitschirurgie oder Erektionsstörungen und dem Wunsch, allzeit sexuell bereit zu sein.

Müdigkeit und mangelnde Konzentration werden zu Symptomen, die es zu beheben gilt. Die Online-Foren sind voll von experimentierfreudigen Menschen, die sich Tipps geben, mit welchem Medikament es sich am besten lernen, am längsten arbeiten und am zuverlässigsten Prüfungsangst ausschalten lässt, zuweilen in beängstigend sorgloser Kombination.