Die Kraft des Teams

Anstelle der üblichen Mainframe-Rechner bearbeiten bei einer japanischen Shinsei Bank Heerscharen von einfachen Computern Daten - das ist billiger und schneller

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Von
  • Martin Kölling

Früher brummte in dem sechsstöckigen Rechnergebäude der Shinsei Bank in düsteren Räumen ein ganzes Heer von riesigen Mainframe-Servern. Heute klackern hier in lichten Büros die Tasten von Callcenter-Mitarbeitern und Sachbearbeitern. Als eine der ersten Banken weltweit hat Shinsei, übersetzt "Wiedergeburt", die Mainframe-Computer ausrangiert. Die Arbeit der teuren Rechenmonster erledigt inzwischen ein Serverpark aus einfachen Computern.

Noch augenfälliger ist, dass weder hier im Tokioter Stadtteil Meguro noch im 22-stöckigen Hauptquartier die sonst für japanische Banken typischen Papierberge herumliegen. Denn gleichzeitig mit der Rechner-Revolution wurden alle Arbeitsprozesse verschlankt und papierlose Abläufe eingeführt. "Wir konnten so die Etagen 4 bis 13 unseres Hauptquartiers ausräumen und mit anderen Funktionen füllen", sagt Dhananjaya "Jay" Dvidedi, Technologie-Chef der Bank. Das radikale Projekt hat inzwischen die Aufmerksamkeit der Fachwelt auf sich gezogen. Die "Havard Business Review" erklärte Shinseis Versuch im März unter dem Titel "Radikal einfache IT" zur "Best-Practice", einem hervorragenden Erfolgsrezept. Denn unglaublich liest sich Dvidedis Bilanz der Systemumstellung: Der ganze Prozess dauerte lediglich ein Jahr und kostete 55 Millionen Dollar. Beides ist nur ein Bruchteil dessen, was der Ersatz eines Mainframe-Systems normalerweise kostet.

Wie so häufig machte pure Not das Management erfinderisch. Die Shinsei Bank ging aus der Long-Term Credit Bank hervor, die 1998 unter der Last von faulen Krediten zusammengebrochen war. Die Pleitebank wurde verstaatlicht und grundsaniert an den ausländischen Investor Ripplewood verkauft. Die Investoren holten den früheren Vorsitzenden der Citibank Japan, Masamoto Yashiro, als neuen Vorsitzenden ins Boot. Sein Auftrag: Unter neuem Namen sollte das ehemalige Kredithaus für Unternehmen zu einer der Top-Privatkundenbanken aufsteigen. Das Problem: "Wir kamen schnell zu dem Schluss, dass die Systeme der alten Long-Term Credit Bank für uns so gut wie nutzlos waren", erinnert sich Yashiro in einem Artikel. Nur konnte sich die Bank einen langsamen Austausch des veralteten Systems über mehrere Jahre zeitlich und einen großen Neuentwurf finanziell nicht leisten. Yashiro holte daher den Inder Dvidedi von der Citibank zur Shinsei, um ein modulares System einzurichten, das möglichst aus preiswerten Standardkomponenten zusammengesetzt sein sollte. Bedingung war auch, dass das System sicher war, sich leicht ausbauen ließ und anfangs parallel zum alten System lief.

Um Tempo und Sicherheit gleichermaßen zu gewährleisten, setzte Dvidedi auf die Strategie der Trippelschritte. Er ließ alle Prozesse und Komponenten in kleine Teile zerlegen und diese in vielen Projektteams parallel abarbeiten. Einzelne Probleme sollten preiswert mit Standardprodukten gelöst werden. "Die Methode ist nicht einmalig", sagt Dvidedi, "es handelt sich um erprobte Techniken aus dem Wirtschaftsingenieurwesen." Gleichzeitig entwarf das Shinsei-Team einzelne Prozesse als Module, die änderbar sind, ohne andere Systemkomponenten zu beeinflussen.

Gleichwohl: "Wir gehen davon aus, dass Fehler passieren", sagt Dvidedi. Deshalb muss jedes neue System genauso gut funktionieren wie das alte. Selbst bei der Einführung neuer Prozesse bietet das IT-Team den Mitarbeitern zunächst das alte System an, um Bedienfehler zu vermeiden und die Akzeptanz des Wandels zu erhöhen. Die neuen Optionen werden als Zusatzfunktionen angeboten – so soll sich sich das alte Interface nach der Eingewöhnungszeit von selbst erledigen. Geldautomaten vernetzt Shinsei aus Kostengründen nicht wie andere Banken über Festnetz-Standleitungen mit dem Rechnerpark in der Zentrale, sondern über das öffentliche Internet. Zur Sicherheit hat dabei jeder Automat zwei Netzanschlüsse. Für die meisten Banker ist der radikale Verzicht auf Mainframe-Computer zur Speicherung der riesigen Datenmengen nach wie vor undenkbar. "Aber mit den heutigen Technologien ist das sehr wohl möglich", urteilt Googles Vizepräsident Vinton Cerf. "Die Prozesse bei Suchabfragen sind relativ einfach zu parallelisieren, jede Anfrage kann unabhängig behandelt werden. Banktransaktionen sind ähnlich."

In einem nächsten Schritt stellt die Bank ihre Systemsoftware auf Creative-Commons-Basis der Welt zum Lizenzieren und Weiterentwickeln zur Verfügung. "Das ist nur logisch, denn wir setzen auf die Kraft des Teams", sagt Dvidedi. (bsc)