Obamas Wirtschaftsweiser

Der wirtschaftspolitische Berater von Barack Obama gehört zu einer neuen Generation von Ökonomen, die sich auf das Internet konzentrieren und Netzwerkeffekte genauso berücksichtigen wie Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Neuroökonomie.

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Lesezeit: 18 Min.
Von
  • Mark Williams
Inhaltsverzeichnis

Die Feierlichkeiten zum 4. Juli sind nur noch wenige Tage entfernt und auf den übervölkerten Straßen und Plätzen draußen vor dem Innenstadt-Campus der University of Chicago Graduate School of Business scheint die Stadt fast zu verglühen. Oben, in seinem klimatisierten Büro, erzählt Austan Goolsbee, wie er sich von einem ganz normalen Wirtschaftsprofessor zum wichtigen ökonomischen Berater eines US-Präsidentschaftskandidaten gewandelt hat.

Goolsbee muss seine Worte nun vorsichtiger wählen, doch es ist trotzdem nicht schwierig für ihn, eine gute Geschichte zu erzählen. Die zwei Männer trafen sich 2004, als Barack Obama der demokratische Wettbewerber für den Posten eines Junior-US-Senators für den Bundesstaat Illinois wurde und der politische Gegner ihm eine Art ewigen Kandidaten, den Republikaner Alan Keyes, vorsetzten. Obwohl dessen Ansichten als ultrakonservativer Christ ihn eigentlich inzwischen unwählbar gemacht hatten, wollten die Demokraten doch sicherstellen, dass Obama ihn auch auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik schlagen konnte. Und so kam es dann, dass seine Wahlkampagne Goolsbee kontaktierte, dessen Ruf Obama bereits aus seinen Jahren als Professor für Verfassungsrecht an der University of Chicago kannte: Goolsbee galt in Sachen Wirtschaftswissenschaften als stets auf dem neuesten Stand.

Keyes Wirtschaftsplan lag darin, die Einkommenssteuer abzuschaffen und durch eine nationale Umsatzsteuer zu ersetzen, die bis auf Wohnen, Nahrung, Verkehrsmittel und Ausgaben für Arme und Rentner allen Dingen des Alltages aufgeschlagen werden sollte. Wie hoch würde die Umsatzsteuer für solche Güter sein, damit das Budget der US-Regierung erhalten bleibt, frage ich Goolsbee. Rund 70 Prozent, antwortet der und lacht. 2004 rief die Obama-Kampagne dann regelmäßiger bei Goolsbee an. Der Kandidat tauschte E-Mails mit dem Professor. Einen Kontakt von Gesicht zu Gesicht gab es allerdings lange Zeit nicht. Die beiden trafen sich erst im Oktober 2004, bei der zweiten Fernsehdebatte zwischen Obama und Keyes in den ABC-Studios in Chicago.

"Ich hing zunächst in diesem Aufenthaltsraum herum – mit Michelle Obama. Die kam mir gleich schon ziemlich cool vor", erinnert sich Goolsbee. Als der Kandidat ihn dann empfangen konnte, klopfte er an die Tür. "Obama öffnete und schaute mich erstaunt an und fragte dann, wer ich sei. Ich antwortete: Professor Goolsbee. Er wollte mir das erst gar nicht glauben." Obama hatte offenbar einen älteren Universitätseingeborenen mit Tweed-Jacket erwartet – und nicht "noch so einen dünnen, großen, jugendlichen Geek-Typen mit großen Ohren und einem komischen Namen", wie er es laut Goolsbee dann lachend ausdrückte.

Goolsbee ist heute 39. 1991 schloss er Yale ab und machte 1995 dann seinen Doktor am MIT. In den darauf folgenden zehn Jahren sammelte er erstaunlich breite Berufserfahrung, darunter war eine Mitgliedschaft im Rat der wirtschaftswissenschaftlichen Berater des Budgetbüros des US-Kongresses, die Arbeit als Kolumnist der "New York Times" und des Web-Magazins "Slate" sowie ein Fulbright-Stipendium. Sogar eine eigene Fernsehsendung moderierte Goolsbee bereits: "History's Business" im US-Dokukanal History. Tyler Cowen, Wirtschaftsprofessor an der George Mason University und Autor des populären Blogs "Marginal Revolution", bringt es so auf den Punkt: "Der Mann IST schlau."

Generationen der besten und klügsten Amerikaner sind bereits nach Washington gegangen und haben es wieder verlassen – geändert hat sich stets wenig. Ob das bei Goolsbee anders wird, kann man noch nicht sagen. Klar ist nur eines: Für einen Berater eines Präsidentschaftskandidaten ist er ganz anders als seine Vorgänger. Er ist Teil der Generation von Ökonomen, die sich auf das Internet konzentrieren, Netzwerkeffekte, Verhaltensökonomie und Neuroökonomie untersuchen. Ob Obama gewinnt oder verliert: Er hatte stets einen leitenden Wirtschaftsberater, dessen Fähigkeiten und Ansichten die eines Wirtschaftswissenschaftlers des 21. Jahrhunderts waren.