Das Zittern der Risiko-Kapitalisten

Wie stark beeinflusst die Finanzkrise die Innovationskraft der Wirtschaft? Dem Risikokapitalsegment, das fĂĽr NeugrĂĽndungen innovativer Unternehmen essentiell ist, stehen stĂĽrmische Zeiten bevor.

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Von
  • Mark Buchanan

Niemand weiß, was in der großen Finanzkrise des Jahres 2008 als nächstes kommt. Eine breite und lang anhaltende Rezession? Ein verhältnismäßig kurzes wirtschaftliches Chaos, gefolgt von einer wundersamen Erholung? Die schlechte Stimmung an den Märkten wirkt sich jedenfalls längst negativ auf Forschung und Innovation aus. So werden die Investitionen im für Neugründungen so wichtigen Risikokapitalsegment (Venture Capital, VC) in den USA 2008 zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder fallen. Doch nicht alle Ökonomen und Finanzexperten glauben auf lange Sicht an trübe Aussichten. Einige meinen sogar, dass das aktuelle Chaos zu besser regulierten Kapitalmärkten führen könnte, die dann ein gesünderes Klima für Innovationen bieten.

Zunächst dürfte es aber weiter abwärts gehen. Die VC-Firmen sind zwar noch nicht direkt betroffen, weil ihre Fonds langfristig angelegt sind. "Indirekt sind sie aber doch dabei", meint der Wirtschaftswissenschaftler Andrew Lo, Professor am Labor für Finanzingenieurwesen des MIT. "Mit immer weniger Krediten in der Weltwirtschaft gibt es auch weniger Kapital für andere Bereiche. Risikokapital gehört dazu."

Die letzte Quartalsumfrage unter den VCs im Silicon Valley, publiziert von Mark Cannice, Professor an der University of San Francisco und Gründer des Unternehmerprogramms der Hochschule, zeichnet ein düsteres Bild. Nach ihrer Zuversicht für die nächsten 18 Monate befragt, gaben die Risikokapitalisten auf einer Skala von 1 bis 5 (5 = Bestnote) einen Durchschnittswert von 2,89 an. Das ist der geringste Stand seit Beginn der Untersuchungen im Jahr 2004, als noch letzte Auswirkungen der Dot-Com-Krise zu spüren waren.

Die trüben Aussichten dürften die Aktivitäten der Fonds beeinträchtigen, und einige Firmen sogar in den Ruin treiben. Andere müssen wiederum vorsichtiger investieren und sich auf kurzfristige Gewinne(r) konzentrieren. Die direkte Konsequenz der Krise dürfte Experten zufolge die sein, dass Risikokapitalfirmen weniger Gelder bei Investoren einsammeln können. Entscheidungen über den Einstieg bei Start-ups werden dadurch erschwert. Neu gegründete VCs, die versuchen, frische Fonds aufzusetzen, dürften das als besonders schwierig erleben, meint Joe Hadzima, Dozent an der MIT Sloan School of Management. Die grundlegende wirtschaftliche Unsicherheit und die Knappheit freien Kapitals könnten bei einigen Investoren außerdem dazu führen, dass sie kein frisches Geld in bestehende Fonds nachschießen, weil es dort dann mehrere Jahre gebunden wäre.

Die Auswirkungen dürften von Fonds zu Fonds unterschiedlich sein, je nachdem, welche Summen die Firmen im Portfolio benötigen. Die Fonds mit besonders großen Namen, meint Hadzima, verfügten über große und stabile Beteiligte, etwa Universitäten, Stiftungen und Pensionsfonds. Dort steht das notwendige Geld schon jetzt auf Jahre bereit. Kleinere VCs stehen schlechter da. "Wenn deren Limited Partners Einzelpersonen sind, deren Reichtum in den letzten Wochen schrumpfte, wird es ihnen bald an Liquidität fehlen."

Doch trotz der konservativeren Investitionspolitik dürften die Risikokapitalquellen nicht gänzlich versiegen. "Firmen mit guten Geschäftsplänen werden immer noch Gelder einsammeln können", meint Howard Anderson, ebenfalls an der Sloan School tätig und selbst erfahrener VC. "Die Fonds brauchen aber länger, um Mittel einzuwerben. Und es wird weniger Firmenneustarts geben, bei denen besonders große Summen benötigt werden."

Andere Experten glauben, dass die VC-Firmen von ihren Investoren starken Druck spüren werden, um sie zum sparsamen Umgang mit bestehenden Mitteln zu bewegen. Auch die Geduld mit schlechteren Start-ups dürfte abnehmen. Was das heißt, wurde kürzlich bei einem internen Treffen des renommierten VC-Hauses Sequoia Capital deutlich. Die anwesenden Start-ups wurden in einem "Notfall-Meeting" gewarnt, sie müssten schnell Kosten eindämmen, Leute entlassen und sich auf Gewinne konzentrieren, um die anstehenden dramatischen Veränderungen zu überstehen. Ex-VC Anderson glaubt an eine merkliche Verschiebung von Investitionen weg von Langzeitforschungsprojekten hin zu kurzfristigeren technologischen Vorhaben, die schnell schwarze Zahlen schreiben.

Nichtsdestotrotz denken die meisten Experten, dass sowohl Investitionen als auch Innovationen grundsätzlich weiterlaufen werden – auch in anderen Krisen sei das nicht anders gewesen. Einige Beobachter glauben gar, dass die aktuelle Lage mindestens so viele Chancen wie Risiken bietet. Das gilt sogar für den Bereich des Bank- und Finanzwesens. "Ich erwarte eine ungewöhnlich große Anzahl von Start-ups, die sich auf neue Technologien konzentrieren, die sich mit Problemen auseinander setzen, die zur aktuellen Krise führten", meint Anderson. Dazu zähle insbesondere die Entwicklung neuer elektronischer Handelswerkzeuge und Risikomanagementsysteme.

Die Entbehrungen und Schmerzen, die die Rezession zwangsläufig mit sich bringt, könnten auf längere Sicht auch positive Auswirkungen haben, glaubt Wirtschaftswissenschaftler Lo. Die Finanzkrise werde nicht nur zu einer Entrümpelung des Finanzdienstleistungssektors führen, sondern auch zu deutlich schärferer Regulierung. Genau die könne letztlich positive Auswirkungen haben. "Zweifellos wird die Rezession, die meiner Meinung nach mindestens zwei Jahre andauern wird, viel Leid bringen." Doch während dieser Zeit könnten Märkte und Regulierungsbehörden eine Reihe von Innovationen entwickeln, "die das Fundament des zukünftigen Wachstums der globalen Wirtschaft" lege. "Und das wird spektakulär."

Antoinette Schoar, Professorin für Gründungsfinanzierung am MIT, glaubt ebenfalls an neue Chancen durch die Veränderungen an der Wall Street. "Ich denke, dass die besten VC-Fonds keine Probleme haben werden, Gelder einzusammeln." Mehr Regulierung bei den Geldinstituten und das Verschwinden der Investmentbanken biete "eine Vielzahl interessanter Einstiegsmöglichkeiten für private Investoren". (bsc)