Sichere Atomkraft für den Nahen Osten
Eine Forschungsgemeinschaft aus MIT und dem Masdar Institute in den Vereinigten Arabischen Emiraten arbeitet an neuartigen Atomreaktoren, die das Risiko einer nuklearen Proliferation stark reduzieren sollen.
- Kevin Bullis
Eine Forschungsgemeinschaft aus MIT und dem Masdar Institute in den Vereinigten Arabischen Emiraten arbeitet an neuartigen Atomreaktoren, die das Risiko einer nuklearen Proliferation stark reduzieren sollen. Steckt Atommaterial im Reaktor, ist es "zu heiß, um gestohlen zu werden", erklärt Youssef Shatilla, Professor am Masdar-Institut der Vereinigten Arabischen Emirate. Die größte Gefahr entstehe, wenn der nukleare Brennstoff hergestellt werde, weil dann auch Anreicherungsanlagen vorhanden seien, um waffenfähiges Material zu produzieren. Der zweite Gefahrbereich sei der Transport des nuklearen Materials von und zu den Atomanlagen. Um die erste Gefahr zu bannen, plant die Regierung der Emirate, Atombrennstoff von anderen Nationen zu beziehen, statt ihn selbst herzustellen. Dadurch würde in dem Land gleichzeitig die Möglichkeit fehlen, angereichertes Uran zu produzieren, um Atomwaffen herzustellen.
Auch am zweiten Problem arbeitet die Forschungsgemeinschaft von Masdar und MIT. Die Wissenschaftler wollen neue Reaktoren bauen, die deutlich weniger häufig neu befüllt werden müssen als konventionelle Systeme – nur einmal alle 15 bis 30 Jahre statt spätestens alle fünf Jahre. Dies würde die Frequenz von Nukleartransporten deutlich reduzieren – und damit das Risiko, dass das Material in die falschen Hände geraten könnte. "Wenn man sich ansieht, wie Atombrennstoff abgezogen werden kann, um ein Waffenprogramm zu starten, geschieht das doch immer zu Zeiten, wenn nukleares Material sich außerhalb des Reaktorkerns befindet, wenn es also relativ kalt ist und von Personen problemloser manipuliert werden kann", sagt Shatilla. "Unsere Strategie ist deshalb, den Brennstoff so lange im Kern zu belassen, wie es nur möglich ist." Die neuen Reaktoren hätten noch einen weiteren Vorteil: Sie würden mindestens ein Drittel weniger Atommüll produzieren als bestehende Anlagen.
Das neue Design ist Teil der Bemühungen der Regierung der Emirate, die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dem Land zu erlauben, Atomreaktoren zur Stromerzeugung zu bauen. Die Region und andere Länder im Nahen Osten wollen solche Anlagen aufbauen, um die schnell wachsende Nachfrage nach Elektrizität in ihrem Binnenmarkt zu decken. Hinzu käme, dass diese Form der Stromerzeugung ihnen erlauben würde, Öl und Gas vollständig zu exportieren, anstatt einen Teil zu verbrennen, um Elektrizität für den Eigenbedarf herzustellen. "Wir können nicht ständig damit fortfahren, unsere eigenen wertvollen Ressourcen zu verbrennen, nur um Strom zu erzeugen", meint Shatilla. "In 30 bis 40 Jahren werden Öl und Gas sehr wertvolle Rohstoffe sein, die zu teuer sind, um sie einfach so zu vernichten."
Um die Nachfüllfrequenz der Atomreaktoren zu verringern, arbeiten die Masdar- und MIT-Forscher an Methoden, mehr Energie aus bestehenden Brennstoffmengen herauszuholen. Ein Weg, dies zu tun, sei die Erhöhung der Konzentration von Uran-235, dem Isotop, dass den Spaltprozess durchläuft, um die notwendige Hitze zur Energieerzeugung zu generieren, sagt Mujid Kazimi, Professor für Nukleartechnik am MIT. Aktuell enthält nuklearer Brennstoff nur 3-5 Prozent Uran-235, doch es könnte auf bis zu 20 Prozent angereichert werden, ohne dass die Gefahr sich erhöht, waffenfähiges Material herzustellen, wie die Forscher glauben. Die Steigerung der Anreicherung führt allerdings zu weiteren Problemen. Die Herstellungsanlagen, die aus angereichertem Uran Brennstoff-Pellets produzieren, benötigten dann neue Sicherheitsvorgaben. Außerdem müsste der gesamte Brennstoff so umgestaltet werden, dass die Reaktion nicht zu schnell abläuft. Die Präsenz von so viel spaltbarem Material könnte eine relativ schnelle Kettenreaktion einleiten, sagt Kazimi, die dann zu viel Brennstoff zu schnell verbraucht. Deshalb müssen Stoffe ergänzt werden, die den Prozess "vergiften", also Neutronen absorbieren, was die Reaktionen verlangsamt. So könnte der Brennstoff dann 15 Jahre oder noch länger die notwendige Hitze für die Stromerzeugung produzieren.
Eine andere Idee zur Erhöhung der Energiemenge aus Nuklearbrennstoff ist die Erzeugung mehr spaltbaren Materials im Reaktor selbst. In einem gewöhnlichen Atomkraftwerk werden einige der während des Spaltprozesses freigesetzten Neutronen von Uran-238 absorbiert, einem Material, das an dem Prozess selbst nicht teilnimmt. Wenn das passiert, wird eine Reihe von Reaktionen eingeleitet, die andere Sorten spaltbaren Materials produzieren, was wiederum zusätzliche Hitze im Reaktor erzeugen kann. Diese Reaktionen machen aus Uran-238 somit grundsätzlich einen Kernbrennstoff, was die Anlage wiederum länger laufen lässt.
Forscher wissen schon lange, wie sie die Nuklearbrennstofferzeugung im Reaktor selbst erhöhen können – und zwar sogar soweit, dass einige Reaktoren mehr Brennstoff produzieren, als sie verbrauchen. Doch auch hier ist die Gefahr, dass zu viel neuer Brennstoff für waffenfähiges Material abgezogen wird, sehr groß. Aus diesem Grund wird derzeit erforscht, wie man zwar mehr Kernbrennstoff erzeugen könnte, diesen aber nicht zu einem Proliferationsrisiko werden lässt. Das Ergebnis wäre, dass man noch mehr Energie aus bestehendem Kernbrennstoff ziehen würde, bei gleichzeitig weniger Atommüll.
Außerdem arbeiten Kazimi und Shatilla noch an einer weiteren Technologie: Atomreaktoren, die unter höheren Temperaturen arbeiten als konventionelle Anlagen. Das würde die Effizienz erhöhen, mit der die erzeugte Wärmeenergie zu Elektrizität umgewandelt wird. Das könnte Atomkraftwerke auch interessanter als Hitzequelle für chemische Reaktionen wie die Wasserstofferzeugung machen. In diesem Bereich untersuchen die Forscher von MIT und Masdar neuartige Kühlmittel wie Schmelzsalze, die bei hohen Temperaturen deutlich weniger korrodierend wirken als das üblicherweise verwendete Wasser. Die Forscher untersuchen außerdem die Verwendung von Heißdampf, bei dem Wasser zu Dampf umgewandelt wird, nur um den Dampf dann auf noch höhere Temperaturen zu bringen. Die höheren Temperaturen würden allerdings neue Materialien im Kern notwendig machen, etwa Siliziumkarbid, an dem Kazimi forscht. Dieses Material wird in Form einer Netzstruktur hergestellt, die sich ausdehnen kann, ohne zu brechen - wichtig, wenn der Reaktor sich stark erhitzt und wieder abkühlt.
Kazimi gibt allerdings zu bedenken, dass das Forschungsprojekt erst ein Jahr alt ist und endgültige Designs noch Jahre benötigen werden. Das ultimative Ziel bleibt laut Shatilla aber ein Reaktor, bei dem es "schlicht keine Möglichkeit gibt, Material für den Bau von Kernwaffen abzuziehen". Gleichzeitig wolle man ein möglichst umweltfreundliches Atomkraftwerk bauen. Sollte das Projekt erfolgreich sein, könnte es nicht nur im Nahen Osten umgesetzt werden, sondern auch in vielen weiteren Regionen der Erde, hoffen die Forscher. (wst)