Aufsperrstunde

Sorgen sind unbegründet: Lockpicker betrachten ihr ungewöhnliches Hobby nicht als Einbruchstraining, sondern schlicht als Sport.

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Mach’s gleich noch mal auf“, sagt Arthur Meister, ein Riesenkerl mit süddeutschem Akzent, „einmal kann ja Zufall sein.“ Ich drücke den Bügel zurück ins Vorhängeschloss, greife nach den filigranen Werkzeugen und beginne von vorn: Den Haken des Spanners gerade so im Zylinderkern verkanten, dass ich ein wenig Druck ausüben kann, in die Richtung, in die ich auch den Schlüssel drehen würde – wenn ich einen hätte. Habe ich aber nicht, und genau das ist der Punkt. „Wenn du wissen willst, was Lockpicking ist, dann versuch’s am besten selbst“, mit diesen Worten war ich bei den Hamburger „Sportsfreunden der Sperrtechnik“ begrüßt worden. Im nächsten Moment saß ich am Tisch, vor mir ein Werkzeugset und in der Hand ein Schloss mit einem eingravierten Elefanten. „Das ist ganz einfach, das öffnest du im Schlaf!“, versichert mir mein Lehrer. Na toll.

Mit dem sogenannten Pick, einem langen, schmalen Sondierhaken, fahre ich in den Schließkanal hinein und suche die Spitzen der einzelnen Stifte, die den Zylinderkern blockieren. „Suche den, der am festesten sitzt“, rät mir ein bärtiger Nickelbrillenträger zu meiner Linken. „Dann drückst du ihn runter und suchst den Stift, der am zweitfestesten sitzt“, ergänzt die blonde Frau neben ihm. Nach einer Viertelstunde fruchtlosen Herumfummelns bekomme ich ein anderes Vorhängeschloss in die Hand gedrückt und scheitere erneut. Erst im vierten Anlauf dann der befreiende Moment: Das Schloss schmatzt leise metallisch, der Zylinder lässt sich drehen, der Bügel springt auf.

Lockpicking heißt: Schlösser öffnen ohne passenden Schlüssel – und ohne das Schloss dabei zu beschädigen. Obwohl schon international verbreitet, ist dieser Sport noch relativ jung. Eines der frühen Standardwerke der Szene, das 1987 am Massachusetts Institute of Technology von einem Unbekannten unter dem Pseudonym „Ted the Tool“ verfasst wurde, definiert die Kunst als „die Theorie der und die Ausnutzung von mechanischen Schwächen in Schließsystemen“. Lockpicking, das seit den 1990er-Jahren auch in Deutschland fest etabliert ist, bietet weit mehr als exotischen Zeitvertreib. Es eröffnet Einblicke, die auch für Hersteller, Wissenschaftler, Sicherheitsverantwortliche oder Ermittler relevant sind. Und natürlich für alle mit einem Schlüsselbund in der Tasche.

„Wir können alles, aber wir müssen nichts“, sagt Steffen Wernéry. Als Präsident des Dachverbands Sportsfreunde der Sperrtechnik Deutschland e.V. (SSD e.V.) und dessen Pressesprecher ist er der Frontmann der deutschen Lockpicker-Bewegung. Er hat den Verband,... (bsc)