Pilotenfehler führte zu Absturz des Space Ship Two
Der Copilot hat das berühmte Federsystem zu früh entsperrt, was zum Auseinanderbrechen des SpaceShipTwo Ende Oktober führte. Die untersuchende Behörde kritisiert, dass das Entsperren überhaupt möglich war, und sieht auch Fehler bei der Luftfahrtbehörde.
Am 31. Oktober 2014 zerbrach das SpaceShipTwo (SS2) mitten in einem Testflug. Der Copilot kam ums Leben, der Pilot überlebte schwer verletzt. Am Dienstag hat die der US-Behörde für Transportsicherheit NTSB die wichtigsten Ergebnisse ihrer Untersuchung präsentiert. Demnach hat ein Fehler des Copiloten zu dem Unglück geführt. Dass die Fehlbedienung überhaupt möglich war wird sowohl dem Hersteller Scaled Composites als auch der Luftfahrtbehörde FAA angekreidet.
SS2 war am 31. Oktober von einem Flughafen rund 150 Kilometer nördlich von Los Angeles abgehoben. Es wurde vom Trägerflugzeug WhiteKnightTwo in die Höhe gebracht und ausgeklinkt. Dann zündete plangemäß das Raketentriebwerk. Bei Erreichen von 1.4 Mach, 26 Sekunden nach Raketenzündung, sollten die beiden Testpiloten das spezielle Federsystem ausklappen. Dieses System bremst das SS2 und lässt es, ohne Antrieb, kontrolliert zu Boden kreisen.
Luftsog zieht Federsystem heraus
Das Federsystem ist durch eine spezielle Sperre gesichert, die das Ausklappen verhindert. Leider löste der Copilot schon bei 0.82 Mach diese Sperre und meldete das auch. Zwar zog er nicht die Hebel, die das System ausklappen. Doch zogen aerodynamische Kräfte das Federsystem heraus, woraufhin das SS2 mitten im Flug zerbrach, 13 Sekunden nach Raketenzündung.
Die Trümmer wurden in der Mojave-Wüste über etwa acht Kilometer verstreut. Der Pilot wurde samt Sitz durch die Luft geschleudert. Er konnte sich vom Sitz lösen, woraufhin sein Fallschirm auslöste. Er überlebte schwer verletzt, sein Copilot überlebte nicht
Stress
Unstrittig ist, dass die Piloten erheblichem Stress ausgesetzt sind. In kurzer Zeit müssen sie mehrere Handgriffe und Kommandos absolvieren. Schon Verzögerungen von wenigen Sekunden können erhebliche Auswirkungen haben. Der Testflug am 31. Oktober war erst der vierte Testflug mit Raketenschub, der erste Flug mit einem neuen Motor und der erste raketengetriebene Flug seit eineinhalb Jahren.
Zwar gibt es einen Simulator, doch die Piloten benutzten ihn nicht mit der im Flug eingesetzten Kleidung. Und der Simulator bewegt sich nicht. In der Realität gibt es vor dem Durchbrechen der Schallmauer erhebliche Vibrationen und zwei Lageänderungen. In den 13 Sekunden wirkten auf die Piloten Kräfte von bis zu 2,5 G in Längsrichtung und bis zu 4 G auf horizontaler Ebene.
Auch wenn ein Simulator das nicht wiedergeben könnte, ist ein völliger Stillstand nicht hilfreich. Und die konkreten Bewegungen hatte der Copilot erst einmal, und das mehr als eineinhalb Jahre vor dem Unglücksflug, erlebt. All das könnte zusätzlichen Stress verursacht und ihn zu der Fehlleistung verleitet haben.
Designfehler
SS2-Hersteller Scaled Composites wusste durchaus, dass eine Aktivierung des Federsystems während des Raketenbetriebs katastrophale Auswirkungen hätte. Dennoch gab es keine technischen Vorkehrungen dagegen. Die Piloten waren ein Single Point of Failure, der bei technischen Vorrichtungen inakzeptabel wäre.
Abgesehen von einer Erwähnung in einer Powerpointpräsentation sowie in einer E-Mail etwa drei Jahre vor dem Unglück wurden die Piloten auch nicht vor den Folgen einer frühzeitigen Entsicherung gewarnt. Scaled Composites steht im Eigentum des Waffenkonzerns Northrop Grumman.
Überraschende Ausnahmegenehmigung
Bei der im Vorfeld vorgeschriebenen Gefahrenanalyse ging Scaled Composites einfach davon aus, dass die Piloten die vorgegebenen Prozeduren korrekt ausführen würden. Diese Annahme ist mit den geltenden Vorschriften nicht vereinbar, was der FAA bei der Erneuerung der Testfluglizenz Mitte 2013 auch aufgefallen war.
Jedoch genehmigte die FAA eine Ausnahme. Dabei hatte Scaled Composites eine solche Ausnahme nie beantragt. Wie sich bei der öffentlichen Erörterung des Bericht am Dienstag zeigte, dürfte es in der zuständigen Abteilung der FAA keine ausgewiesenen Experten für menschliche Fehler geben.
Politischer Druck
Während die FAA Luftfahrzeuge zertifiziert, tut sie das bei Raumfahrzeugen nicht. Dort beschränkt sie sich auf eine Kontrolle der Starts, mit Hauptaugenmerk auf öffentliche Sicherheit, nationale Sicherheit und außenpolitische Interessen.
Im Genehmigungsverfahren für Scaled Composites sollen FAA-Manager technische Fragen ihrer Mitarbeiter nicht an Scaled Composites weitergeleitet haben. Das Management begründete das damit, dass die Fragen nicht die öffentliche Sicherheit beträfen.
Außerdem soll das Management Druck auf die Behördenmitarbeiter ausgeübt haben, die Genehmigung flott und so wie beantragt zu erteilen. Scaled Composites hatte bereits mit dem Bau begonnen, so dass Auflagen hohe Kosten und zeitliche Verzögerungen verursacht hätten.
Systemmängel
Der Untersuchungsbericht zeigt noch weitere beunruhigende Mängel im System. Eine Richtlinie zum Thema menschliche Fehler fehlt im Bereich der kommerziellen Raumfahrt völlig. Und es besteht keine Datenbank, in der Erfahrungen kommerzieller Raumfahrtbetreiber zusammenfließen.
Jene FAA-Inspektoren, die kurz vor jedem Start die Einhaltung der Auflagen kontrollieren sollen, waren nicht gut über das Raumfahrzeug und seine Geschichte informiert. Denn die Behörde schickte immer wieder andere Inspektoren. Im Genehmigungsverfahren findet offenbar bewusst wenig Kommunikation zwischen Behörde und Antragsteller statt. Zudem gibt es bei Scaled Composites' Vorkehrungen für Rettungsmaßnahmen deutliches Verbesserungspotenzial.
Virgin Galactic macht weiter
Virgin Galactic will an den Plänen für touristische Kurzausflüge ins All festhalten. Unternehmensgründer Richard Branson wandte sich am Dienstag mit einer entsprechenden Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Scaled Composites soll bereits ein neues Space Ship für Virgin Galactic bauen
Das NTSB hat zehn Empfehlungen ausgearbeitet. Acht schlagen der FAA Reformen vor. An den Branchenverband Commercial Space Flight Federation richten sich die übrigen beiden. Sie beziehen sich auf bessere Vorsorge für Rettungsmaßnahmen bei Unfällen sowie auf die Entwicklung einer Richtlinie für die Berücksichtigung menschlicher Fehler bei der Entwicklung von Raumfahrzeugen. (ds)