Heilende Linse

Lästige Augentropfen könnten in einigen Jahren der Vergangenheit angehören, dank einer speziellen Kontaktlinse, die Medikamente bis zu 100 Tage lang verabreichen kann.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Courtney Humphries

Krankheiten am Auge, unserem wichtigsten Sinnesorgan, sind eine unangenehme Sache. Wer darunter leidet, muss häufig mehrmals täglich Augentropfen nehmen, und das über längere Zeit. Das US-Startup Eye-novations will diese Behandlungsmethode nun deutlich vereinfachen – mit Hilfe einer Kontaktlinse, die dem kranken Auge über Wochen kontinuierlich kleine Medikamentendosen verabreicht.

Erste Zielgruppe sind derzeit Patienten, die an Grünem Star leiden. Bei dieser medizinisch Glaukom genannten Erkrankung gehen zunehmend Sehnerven verloren, so dass Teile des Gesichtfeldes ausfallen, bis hin zu vollständigem Erblinden. Andere Erkrankungen oder die Nachbehandlung einer Augenoperation mit Antibiotika könnten in Zukunft ebenfalls mit der neuen Technologie angegangen werden.

Entwickelt wurde sie von einem Team um Daniel Kohane, der am Kinderkrankenhaus Boston das Labor für Biomaterialien und Wirkstofffreisetzung leitet. Zunächst mit der Absicht, Augen mit einer frisch eingesetzten synthetischen Cornea besser mit Antibiotika versorgen zu können. Gemeinsam mit Joseph Ciolino vom Massachusetts Eye and Ear Infirmary ging Kohane daran, ein Material für eine therapeutische Kontaktlinse zu finden, das den Wirkstoff über eine längere Zeit abgeben kann. Bei diesem Problem waren nämlich zuvor andere Forschungsgruppen, die ebenfalls an dem Konzept arbeiteten, nicht weitergekommen.

Die Lösung war dann eine Linse aus einem Hydrogel, einem flexiblen wasserhaltigen Kunststoff. In dem Gel befindet sich ein spezieller Polymerfilm, der das Medikament enthält. Berührt die Linse das Auge, wird der Stoff ganz langsam abgesondert. Wie schnell das geht, lässt sich über die Stoffeigenschaften des Gels und des Polymerfilms beeinflussen. In einem nächsten Entwicklungsschritt könnte das Medikament sogar direkt in dem Hydrogel eingebettet sein, sagt Kohane.

Beim jetzigen Prototypen kann die Linse ihren Wirkstoff sogar bis zu 100 Tage lang absondern. Die neugegründete Firma Eye-novations hat bereits ein Patent darauf angemeldet. Ein kommerzielles Produkt soll dann mit Hilfe von Materialien , die von der US-Behörde für Lebensmittel und Medikamente FDA zugelassen sind, entwickelt werden. Diese Linse soll zunächst auf nur 30 Tage ausgelegt sein – ein längeres Tragen ein und derselben Kontaktlinse erlaubt die FDA noch nicht.

Das Konzept stellten die Forscher im Januar in einem Paper im Fachjournal Investigative Ophthalmology and Visual Science vor. Nun habe man mit ersten Tierversuchen begonnen, sagt Chris Kreitel von der MIT Sloan School of Management, der am Business-Plan für das Start-up mitgearbeitet hat. Klinische Tests sollen schon bald folgen.

Geht alles nach Plan, werden die Kontaktlinsen von Eye-novation zuerst Glaukom-Patienten helfen. In den USA leiden rund 2,5 Millionen Menschen an der Krankheit, in der Bundesrepublik etwa eine halbe Million. Wegen der Überalterung der Bevölkerung in den Industrieländern erwarten Experten, dass diese Zahlen künftig noch steigen werden. Bislang müssen Patienten, die an Grünem Star im Frühstadium leiden, täglich bis zu acht Tropfen eines Medikaments nehmen. So viel Selbstdisziplin haben nicht alle: Schätzungsweise zwischen einem Viertel und der Hälfte der Betroffenen halten diesen Dosierungsplan nicht ein.

„Eine Kontaktlinse, die das Medikament absondert, hat da ein enormes Potenzial“, sagt James Chodosh, Augenarzt am Massachusetts Eye and Ear Infirmary, der an der Entwicklung nicht beteiligt war. Gerade für ältere oder behinderte Patienten, die Mühe hätten, sich selbst Augentropfen zu verabreichen, sei diese Lösung besonders praktisch.

Zwar habe man in den vergangenen Jahren mit anderen Alternativen zu Augentropfen experimentiert. Dazu gehören auch kleine Medikamentendepots, die ins Auge eingesetzt werden. Durchgesetzt hat sich bisher aber keines der Verfahren. Weil viele Menschen ohnehin Kontaktlinsen tragen, dürfte die neue Technologie schnell akzeptiert werden, schätzt Chodosh. Voraussetzung sei aber, dass die Linsen genau passen und weder die Sauerstoffzufuhr zum Auge noch das Sichtfeld einschränken.

Für Chris Kreitel könnte die Linse auch gegen das so genannte Syndrom des trockenen Auges (Keratoconjunctivitis sicca) helfen. Bei dieser Krankheit wird das Auge nicht ausreichend von Tränenflüssigkeit benetzt, was die Gefahr von Entzündungen drastisch erhöht. Denkbar sei weiterhin, sagt Kreitel, potenzielle Augenwirkstoffe, die sich bislang nicht in Tropfenform verabreichen lassen, mit der Linsentechnik zu verabreichen. Für Kontaktlinsenträger soll außerdem eine Mischform entwickelt werden, die wie bisher Sehfehler korrigiert, aber auch Wirkstoffe absondert. In schwer zugänglichen Regionen könnte die Linsen-Medikation die Behandlung von Augenkrankheiten deutlich verbessern. (nbo)