ICANN-Wahlen: Who the hell is Karl Kramer?

Hintergrund: 68 Männer und drei Frauen stehen bislang auf der Bewerberliste für die Wahl des europäischen Direktors der Internet-Verwaltung ICANN.

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  • Monika Ermert

Hintergrund: Das Internet ist für alle da, pflegt Internet-Urgestein Vint Cerf zu sagen, Direktor der neuen Internet-Verwaltung Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN). Das haben sich wohl auch die 68 Männer und drei Frauen gedacht, die sich bis gestern auf die Bewerberliste für den europäischen Direktorensitz der ICANN gesetzt haben.

Vom französischen Hotelier mit vier Kindern und europäischer Kundschaft über den Ex-Carabiniere bis zu einem Mitarbeiter des Pharmariesen Boehringer oder dem Luzerner Rolf Oberhänsli, der gegen "die Elefanten" kämpfen will, reicht die Auswahl.

Unabhängigkeit

Nur zwei der Selbstbewerber werden überhaupt noch zur Kandidatur zugelassen, denn fünf der pro Region vorgesehenen sieben Kandidatenplätze hat das Nominierungskomitee der ICANN bereits mit Personen seiner Wahl belegt. Diese Auswahl war schlecht, darin ist sich die Mehrzahl der Beobachter einig; den offiziell nominierten Kandidaten werden jedenfalls in Europa kaum Chancen zugerechnet. Manch ein Kandidat hat sich genau durch die Vorauswahl des ICANN-Nominierungskomitees, das auf Anfragen von c't zur Auswahlpolitik bislang nicht reagierte, zur Kandidatur aufgerufen gefühlt.

"Wenn man sieht, dass unter den Nominierten Nato-Beauftragte sind, die allen möglichen Geheimhaltungsverpflichtungen unterworfen sind, erscheint sogar noch ein Deutscher-Telekom-Kandidat vergleichsweise neutral", sagt etwa Andy Müller-Maguhn, Sprecher des Chaos Computer Club und einer der auch international bekannteren unter den knapp 30 deutschen Kandidaten. Fragen an den vom ICANN-Komitee aufgestellten Telekom-Kandidaten Winfried Schüller nimmt allerdings bislang nur die Pressestelle der Telekom entgegen – sozusagen als Write Only Memory, denn Antworten gibt sie bislang nicht. Die Unabhängigkeitserklärung von Schüller auf der Seite des französischen NIC scheint deshalb wohl die Bits nicht wert, auf denen sie steht. Auch für die deutsche Gruppe der ISOC gab die unbefriedigende Bewerberlage mit den Ausschlag dafür, dass sich ihr Kandidat Hans Peter Dittler kurz vor Fristende noch beworben hat.

Überhaupt schwoll das Bewerberfeld am letzten Tag noch einmal um ein Drittel an. Manch ein erklärter Kandidat hat es sogar erst nach Ende der offiziellen Frist auf die Liste geschafft, so zum Beispiel die Unix-Expertin Sabine Reul. Entscheidend, meinte Andrew McLaughlin, Finanzchef der ICANN, sei nicht der Eingang der Bewerbung, sondern die fristgerechte Mitteilung, dass man kandidieren wolle. Das heißt auch, dass die Bewerberzahl immer noch wachsen kann.

Wahlvolk

Jetzt sind die Wähler dran, und die haben es angesichts der langen Bewerberliste schwer. Sie müssen überlegen, wie ernst sie Bewerbungen nehmen, in denen sich die Bewerber so anpreisen: "Eric Jonvel ist ein 31 Jahre alter IT-Manager. Er ist augenblicklich mit einer gewaltigen E-Commerce-Unternehmung beschäftigt." Nicht alle Bewerbungen sind offensichtlich gleich ernst gemeint, wie auch der Versuch von Joerg Clausen zeigt: "Ich habe keine Qualifikationen. Ich bin Experte im dumme Fragen stellen. (..) Ich mag Bier. Ich mag keinen Wein." Qualifikationen wie die "Durchquerung Afrikas mit öffentlichen Verkehrsmitteln" (Carlo Scollo Lavizzari) und sportliche Aktivitäten nach dem Motto "Bin ein guter Sportsmann – Golf, Tennis, Radfahren" (der Malteser Joseph Ciantar) werden ebenso bemüht wie eine militärische Laufbahn: "Vom Schiffsjungen zum Royal Navy Piloten, vom Einzelhändler zum Consulter. Ich bin ein zupackender Aktivist, der immer noch dazulernt", so die ansonsten knappe Bewerbung des 70-Jährigen Briten Alan Dobson. Auch eine Spät-Bewerbung in Versen gab es:

I do not relate to ICANN
exept on days
I need a domain.

Für die Wähler interessanter dürften bei allem Unterhaltungswert allerdings auf die Reform des DNS bezogene Qualifikationen und die Ziele hinsichtlich der Arbeit als ICANN-Direktor sein. Relativ häufig werden die europäischen Interessen in der DNS-Reform betont. Explizit äußert sich dazu beispielsweise Francis Behr, der für die Einführung von .eu zu sorgen verspricht. Ein Namensvetter des derzeitigen ICANN-Präsidenten Mike Roberts möchte dafür sorgen, dass ICANN nicht auf die Belange amerikanischer Unternehmen ausgerichtet ist. Ein grosser Teil der Bewerber verspricht, sich vor allem um die Belange der Endnutzer zu kümmern – teilweise wird damit aber auch fehlende technische Kenntnis oder fehlendes Wissen über ICANN entschuldigt.

Die Vorstellungen der Bewerber zu ihren Zielen reichen von "Kontrolle des Internet", wie es der Hamburger Jurist Florian Wegelein vorschlägt, bis zur Stärkung nichtkommerzieller Interessen und einer Klärung der Rolle der At-Large-Mitglieder, die etwa IETF-Expertin Jeanette Hofmann vertritt. Hofmann gehört zu denjenigen, die mit ihrer Kandidatur die Hoffnung verbinden, das demokratische Potenzial der ICANN-Struktur besser auszuschöpfen, und gehört damit zur "Nicht-nur-Technik"-Fraktion. Als geeignete ICANN-Bewerber erscheinen damit sowohl die Techniker mit politischem Gespür wie Dittler, Maguhn, Lutz Donnerhacke und Marc Lehmann als auch "Netz-Politiker" mit profundem technischem Hintergrund wie Hofmann, der Spanier Roberto Gaetano oder der Franzose Bernard Benhamou.

Wahlkampf

Auffällig ist, dass auch bei den Selbstnominierungen die Zahl derjenigen groß ist, die für einen Verband kandidieren. Aus Deutschland gehen Florian Korff für den DMMV, Rainer Hund für den ZVEI und Axel Zerdick für D21 ins Rennen. Verbandsvertreter oder auch die Vielzahl von Mitarbeitern der Länder-Domain-Registriers oder von Registraren sind allerdings nach Ansicht von Hans Peter Dittler eigentlich eher Kandidaten für die Direktorenposten bei den ICANN-Untereinheiten der Domain Name Supporting Organization (DNSO) oder der Adress Supporting Organization (ASO).

Schwierig wird die Entscheidung bei Angestellten von großen Unternehmen, die auf die Frage zu ihrer Unabhängigkeit beteuern, nicht für das Unternehmen zu kandidieren. Sowohl der offiziell nominierte Mitarbeiter der France Télécom als auch der DTAG-Kandidat haben beispielsweise Konkurrenz aus dem eigenen Haus bekommen. Sehr selten bekennen sich allerdings Kandidaten so eindeutig dazu, Wirtschaftsinteressen zu vertreten, wie im Fall der nominierten Maria Livanos Cattaui. Das Gegenbeispiel dazu gibt es allerdings auch: Stefano Trumpy sitzt für die italienische Regierung im Government Advisory Comittee (GAC) von ICANN, betont aber, dass er keineswegs ein Regierungsvertreter sei.

Viel Zeit für Wahlkampf bleibt den Kandidatinnen und Kandidaten in der Nominierungsphase nicht, kurz gehaltene Fragebögen können der erste Stolperstein sein. Weniger bekannte Bewerber ohne institutionellen Hintergrund wie der Physikstudent Karl Kramer haben wohl kaum eine Chance. Kandidatenbefragungen wie die auf der Mailingliste icann-europe des FITUG e.V. dürften bislang nur einen sehr kleinen Teil der Wähler und Kandidaten erreichen.

Bis zum 31. August müssen die Mitglieder nun ihre Stimme denjenigen geben, die neben den fünf offiziellen Kandidaten auf der Wahlliste landen sollen. Für viele das Horrorszenario: Die Stimmen der europäischen Wähler verteilen sich so gleichmäßig auf die vielen Kandidaten, dass keiner die geforderten zwei Prozent Wählerstimmen (bei Unterstützung aus mindestens zwei Ländern) erhält. Womöglich bis zuletzt bleibt auch unklar, wie viele Stimmen das Quorum überhaupt beträgt. Denn nur diejenigen Mitglieder des Wahlvolks, die bereits ihre PIN haben, können ihre Mitgliedschaft aktivieren. Verschickt, so versicherte Andrew McLaughlin gegenüber c't, habe man die letzten PINs bereits am 7. August. Damit bliebe ausreichend Zeit, die Wahlberechtigung zu aktivieren. Es kommt also bloß noch auf den Wählerwillen an.

Zu den Vorstellungen einzelner Kandidaten aus Europa siehe auch die ICANN-Seiten von heise online. (Monika Ermert) (jk)