Rettung für das Augenlicht

Mit Hilfe eines lichtempfindlichen Proteins wollen Forscher die Netzhaut bei Blinden reaktivieren und Erkrankungen wie Parkinson behandeln.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Emily Singer

Vor einigen Jahren entwickelte der amerikanische Neurobiologe Ed Boyden einen Ansatz, um Nervenzellen lichtempfindlich zu machen. Ihm war klar, dass sich die Forschungswelt begeistert darauf stürzen würde. Er hatte allerdings Größeres im Sinn: Mit der Technologie könnte man vielleicht auch Neuronen reaktivieren, die durch Erkrankungen wie Parkinson oder verschiedene Formen der Erblindung beschädigt sind.

Seitdem hat Boyden, der inzwischen am MIT arbeitet, erstaunliche Fortschritte gemacht – schneller, als viele Fachkollegen erwartet hatten. Er und seine Mitarbeiter konnten zeigen, dass die lichtempfindlichen Moleküle, auf der die Technologie aufbaut, in den Augen von Affen tatsächlich funktionieren – und offensichtlich gesundheitlich unbedenklich sind. Sein Start-up Eos, das das Verfahren kommerzialisieren soll, will nun als erstes die Krankheit Retinitis pigmentosa angehen. Bei der sterben die Photorezeptorzellen der Netzhaut ab, so dass der Patient erblindet.

Boydens Ansatz nutzt ein aus Algen bekanntes lichtempfindliches Protein, das so genannte Kanalrhodopsin. Das Gen, das dieses Protein produziert, wird so verändert, dass es nur in ganz bestimmten Nervenzellen aktiviert werden kann. In die wird es mittels Gentherapie eingeschleust. Ist das Kanalrhodopsin dann gebildet, lagert es sich an der Zellmembran an. Wenn nun Licht darauf fällt, öffnet das Molekül einen Kanal in der Membran – daher der Name – und schickt positiv geladene Ionen ins Zellinnere. Die lösen ein elektrisches Signal aus, das an die nächsten verschalteten Neuronen weitergegeben wird.

Kanalrhodopsin wird heute in zahlreichen Laboren in aller Welt in Tierversuchen eingesetzt, um psychische und neurologische Störungen wie Depressionen, Suchtverhalten und Epilepsie zu untersuchen. Aber auch ganz normale Hirnfunktionen wie die motorische Steuerung und das Erinnerungsvermögen werden mit Hilfe des Proteins studiert.

Ihren Erstversuch mit Affen haben Boyden und seine Mitarbeiter im April veröffentlicht. „Weil es sich um ein Algenprotein handelt, muss man prüfen, ob es in Tieren eine Immunreaktion hervorruft und ob der Effekt über einen längeren Zeitraum stabil ist“, sagt Boyden. Man habe sich für Affen entschieden, weil sie biologisch dem Menschen am nächsten stehen.

Das Team schleuste hierzu das Gen in den Stirnlappen des Großhirns eines Makaken ein, in dessen Neuronen das Protein dann gebildet wurde. Mittels einer dünnen Glasfaser schickten sie dann Lichtpulse in die Hirnregion, damit das Kanalrhodopsin seine Wirkung entfalten kann. Auch nach neun Monaten sei es zu keiner Immunreaktion oder Schädigung des Gewebes gekommen, berichten die Forscher. „Diese Toleranz gegenüber dem Protein ist ein großer Fortschritt“, sagt Alan Horsager, wissenschaftlicher Leiter in Boydens neuer Firma Eos.

Boyden selbst dämpft allerdings überzogene Erwartungen: Man habe das Kanalrhodopsin bislang nur an zwei Makaken getesten. „Aber das Ergebnis weckt Hoffnung.“ Nun könne man größer angelegte Tests in Angriff nehmen.

Alan Horsager versucht nun, das Verfahren zunächst in Mäusen weiterzuentwickeln. Frühere Forschungsarbeiten an Nagern, die von Geburt an blind waren, hatten gezeigt, dass sich ein rudimentärer Sehsinn entwickelt, wenn man Netzhautzellen lichtempfindlich macht. Horsager ist es bereits gelungen, das Gen für Kanalrhodopsin in spezielle Netzhautzellen (siehe Bild) einzuschleusen.

Auf einer Konferenz im Mai stellte er erste Ergebnisse vor. Vormals blinde Mäuse seien nach der Behandlung in einem Wasserlabyrinth auf eine Lichtquelle zugeschwommen. Blinde Vergleichstiere, die keine Behandlung bekommen hatten, seien hingegen ziellos umhergeschwommen. Was die Tiere tatsächlich sehen, ist zwar noch nicht klar. Aber die Wissenschaftler vermuten, dass die mit Kanalrhodopsin aktivierten Zellen wie ein Photorezeptor für blaues Licht funktionieren.

Langfristig hofft man, mit dem lichtempfindlichen Protein auch Zelltypen verändern zu können, die etwa mit Parkinson oder Epilepsie verbunden sind. Derzeit werden diese beiden Krankheiten auch mit eingepflanzten Elektroden behandelt, die die betroffenen Hirnregionen elektrisch stimulieren. Eine optische Reizung über Glasfaser könnte ähnlich und womöglich noch exakter wirken. Statt viele Zellen zu treffen, wie es bei elektrischen Impulsen der Fall ist, würden dann nur gentechnisch verändert e Zellen reagieren. (nbo)