Comdex/Linux: Küsschen, Schüsschen und etwas Stüsschen
Was kann man alles mit einem Pinguin machen? Viel offensichtlich, wenn es nach den Marketiers geht. Nicht alle Linux-Interessierte und -Entwickler sind davon begeistert.
Was kann man alles mit einem Pinguin machen? Man kann ihn als Zauberer anziehen, ihm als Punk die rasierten Kopffedern grün färben oder ganz einfach als Zielscheibe für den Abschuss mit Plastikpfeilen freigeben. Die weitläufige Linux-Ecke der Comdex zeigte deutlich, was amoklaufenden Marketiers alles einfallen kann.
Nun ist es nicht neu, dass das Linux-Maskottchen Tux das Opfer falscher Kreativität ist. Wirklich neu waren die Schlangen von Messebesuchern, die sich eine Stunde lang bei Chilliware anstellten, um ein abwaschbares Pinguin-Tattoo auf die Backe geklebt zu bekommen. Diese Firma, die die Slogans wie "I Smash Windows" und "Apples have Worms" als Markenzeichen angemeldet hat, stellte auf der Comdex Produkte vor, die für den einfachen Benutzer wichtig sind, etwa einen Kontaktmanager als Mischung von ACT! und Microsoft Outlook. Wer das Tattoo auf der Backe hatte, bekam von einer hübschen Pinguinin ein Küsschen auf die andere.
Noch skurriler ging es bei einem "Desktop Dukeout" zu, veranstaltet von der Firma Epitera. In einem kleinen Boxring kämpfte eine kleine hektische Büroklammer gegen einen etwas dümmlich dreinblickenden Geist namens Kandu. Selbiger ist laut Epitera ein intelligenter Assistent, der neuen Linux-Benutzern den Einstieg in das System so erleichtern soll, wie es die Büroklammer bei Microsoft tut. Hier könnte man von einem klassischen Fall der Negativwerbung reden, weil jeder MS-Nutzer besagte Klammer hasst, aber nein, das Publikum goutiert die Analogie.
Linux wird kreischend bunt: Im nächsten Jahr muss wohl Bette Midler den Desktop vorführen, mit dem Gnome oder KDE gewonnen haben. Neben den Einfällen der Newcomer mutete die Präsentation von Firmen wie Red Hat, Suse oder Turbolinux nachgerade seriös à la IBM an (letztere Firma war übrigens entgegen der Vorankündigung nicht vertreten). Etwa 60 Neuvorstellungen von eigens für den Normalanwender geschriebenen Programmen zeigten, wo Linux Fuss zu fassen beginnt.
Die bunte Vielfalt zeigte freilich auch ein Problem der neuen Linux-Seligkeit, die Gnome-Entwickler Manuel de Icaza in seiner Keynote am Rande ansprach: Es gibt keinen verbindlichen Style-Guide für die Oberfläche. So enstehen Programme, die Benutzerführung mit Benutzerverirrung verwechseln. Im Zweifel dann doch für den DAU oder gar für Microsoft, das einen einheitlichen Windows-Desktop vorgeschrieben hat? Auf die Kirmesatmosphäre der Linux-Halle reagierte offensichtlich zumindest eine Fraktion allergisch: Die Slashdot-Truppe, die noch im letzten Jahr mitten in einer wesentlich kleineren Halle herumfläzte, zog angesichts des Rummels nach Angaben des Veranstalters kurzerhand aus. (Detlef Borchers) / (jk)