Das neue Öl

Nach einem Dornröschenschlaf von 15 Jahren wächst das Interesse an solarthermischen Kraftwerken wieder. Ihre Freunde sehen sie als tragende Säule künftiger Versorgung.

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Von
  • Uta Deffke

Eine Gruppe von zwanzig großen Konzernen will sich laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung Mitte Juli 2009 zu einem Konsortium für den Bau solarthermischer Großkraftwerke in Afrika zusammenschließen. Aus gegebenem Anlass stellen wir daher einen Text über das Desertec-Projekt vom Juni 2008 im Volltext online. Zum Thema Erneuerbare Energien empfehlen wir aber auch den Heft-Schwerpunkt "Erneuerbare Energien im aktuellen Heft TR 06/09 (online portokostenfrei hier zu bestellen).

Energieproblem? Was für ein Energieproblem? Der pensionierte Teilchenphysiker Gerhard Knies gibt sich ahnungslos. Energie sei doch genug vorhanden – man müsse sie nur dort einsammeln, wo sie im Überfluss zu finden sei. Und das ist nach Knies' Vorstellung in der Wüste.

Seine Vision: Bis 2050 sollen zunächst 15 Prozent des europäischen Energiebedarfs und ein Großteil der Versorgung des Mittleren Ostens und Nordafrikas mit Sonnenkraftwerken in der Wüste gedeckt werden. Anders als bei der Photovoltaik wird dabei nicht das Licht, sondern die Strahlungswärme der Sonne benutzt, um in Großkraftwerken Strom zu erzeugen. Die Idee ist nicht neu. Schon 1985 wurde das erste Parabolrinnenkraftwerk in die kalifornische Mojawewüste gesetzt. Bis 1991 folgten acht weitere Kraftwerke mit insgesamt 350 Megawatt Leistung. Hunderte Meter lange Reihen aus einigen Meter breiten Parabolspiegeln bedecken dort 6,5 Quadratkilometer Wüstenboden. Sie konzentrieren die Sonnenstrahlung auf Rohre, dick wie ein Laternenpfahl. Ein synthetisches Thermoöl, das darin zirkuliert, wird so auf 400 Grad Celsius erhitzt und erzeugt über Wärmetauscher Wasserdampf zum Antrieb von Turbinen. "Die Erfahrungen aus dem Betrieb sind sehr gut", sagt Robert Pitz-Paal, Leiter der Solarforschung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Dank langfristig ausgehandelter Stromverträge verdienen die Betreiber sogar Geld damit.

Als 1991 das jüngste und mit 80 Megawatt stärkste der neun Kraftwerke in Betrieb ging, war allerdings erst einmal Schluss mit der Sonnenenergie: Vor dem Bau der zehnten Anlage musste die Betreibergesellschaft Insolvenz anmelden – die Zusage für eine Steuererleichterung kam zu spät. Die sinkenden Öl- und Gaspreise, an die die Solarvergütung gekoppelt war, machten weitere Projekte unattraktiv. Vorübergehend jedenfalls. Mit den Ölpreisen stieg in den letzten Jahren weltweit auch wieder das Interesse an der Solarthermie. So ging 2007 in Nevada mit dem "Solar One" (64 Megawatt) das weltweit erste Parabolrinnenkraftwerk seit 16 Jahren ans Netz. Auch in Spanien ist ein Solarthermie-Boom ausgebrochen. In der Nähe von Granada werden gerade die Parabolrinnenkraftwerke Andasol 1 bis 3 mit je 50 Megawatt Leistung errichtet; der erste Block soll in diesem Sommer fertig gestellt werden. Alles in allem sind derzeit zehn Anlagen mit insgesamt 470 Megawatt im Bau, 60 weitere in Planung.

Das klassische Parabolrinnenkraftwerk ist dabei nicht der Weisheit letzter Schluss. Solartürme etwa kommen ohne Röhren aus. Stattdessen fokussieren Hunderte in mehreren Reihen angeordnete Heliostaten – Spiegel, die durch Nachführ-Mechanismen das Sonnenlicht immer auf den gleichen Punkt konzentrieren – die Strahlen auf einen Receiver an der Spitze eines bis zu mehrere hundert Meter hohen Turms. Dort wird sie entweder von einer Flüssigkeit oder von Luft aufgenommen und kann so wieder eine Generator-Turbine antreiben. Solche Solartürme erreichen mit 1000 Grad viel höhere Temperaturen als Parabolrinnen und damit auch einen höheren Wirkungsgrad; zudem sind sie nicht auf ebenes Gelände angewiesen. Der weltweit erste kommerzielle Solarturm PS10 bei Sevilla wurde 2007 fertiggestellt. 624 Heliostaten à 120 Quadratmeter und ein 100 Meter hoher Turm erzeugen eine Leistung von 11 Megawatt. PS20 soll bereits doppelt so groß werden und ebenfalls noch in diesem Jahr ans Netz gehen.

Gegenüber Wind und Photovoltaik bieten solche solarthermischen Kraftwerke einen entscheidenden Pluspunkt: Wärme lässt sich – im Gegensatz zu Strom – vergleichsweise einfach speichern, zum Beispiel in großen Tanks mit 300 bis 400 Grad heißem Flüssigsalz. So können Solarthermie-Kraftwerke berechenbar und gleichmäßig Strom liefern; bei den Andasol-Kraftwerken ist die Speicherlösung schon vorgesehen.

"Ein großer Vorteil ist zudem, dass wir auf bewährte Kraftwerkstechnik setzen können", sagt Michael Geyer, Director International Business Development beim spanischen Energiekonzern Abengoa Solar. Möglich ist außerdem ein sogenannter Hybridbetrieb, bei dem sonnenarme Zeiten durch die Verfeuerung von Biomasse, Gas oder Erdöl überbrückt werden. "Das ist besonders in den derzeitigen Ölstaaten ein wichtiges Argument, um Interesse für derartige Pro- jekte zu wecken", sagt Geyer.

Angesichts solcher Vorteile gibt es Planspiele, Solarthermie zur wichtigen Säule der Stromversorgung aufzubauen. Gregor Czisch etwa, ein Energieexperte an der Universität Kassel, hat schon im Jahr 2001 mittels Computer-Optimierungen ein Szenario entworfen, in dem erneuerbare Quellen zu 100 Prozent den Energiebedarf Europas samt angrenzender Staaten in Nordafrika und Asien decken – zu Kosten, die sogar unter denen der konventionellen Stromversorgung liegen. Darin würde Windkraft zwei Drittel des Stromes liefern, den Rest würden Wasserkraft, Biomasse und Solarthermie beisteuern. Die Nutzung von Photovoltaik würde sich laut Czischs Berechnungen nur dann lohnen, wenn ihre Kosten noch auf ein Achtel fallen.

Entscheidend für solche Überlegungen ist allerdings auch bei Solarthermie, dass die Anlagen an den jeweils günstigsten Standorten stehen. "Um die Stärken voll auszuschöpfen, muss man nach Nordafrika gehen", bestätigt DLR-Forscher Pitz-Paal: Dort gibt es noch einmal 30 Prozent mehr Sonneneinstrahlung als in Spanien.

Irgendwie muss die Energie aus der Wüste dann nach Europa gebracht werden. Während dafür in früheren Szenarien Schiffe mit Wasserstoff-Tanks vorgeschlagen wurden, denkt man heute eher an Hochspannungs-Gleichstromleitungen, mit denen etwa Offshore-Windanlagen angeschlossen werden (siehe TR 5/07). Deren Energieverluste betragen rund drei Prozent auf tausend Kilometern – bei etwa 3000 Kilometern zwischen Nordafrika und Deutschland also rund zehn Prozent. Das ist deutlich weniger, als man durch die stärkere Sonneneinstrahlung gewinnt.

"Technisch ist die Desertec-Initiative machbar", resümiert Pitz-Paal zwei Studien, die sein Institut für das Bundesumweltministerium durchgeführt hat. Um 15 Prozent des europäischen Strombedarfs aus der Wüste zu decken, müssten bis 2050 zusätzlich zum Eigenbedarf der afrikanischen und Nahost-Länder 100 Gigawatt Kraftwerksleistung installiert werden. Kosten: 350 Milliarden Euro für die Kraftwerke und 50 Milliarden für das Netz.

Dennoch sehen Experten die Finanzierung nicht als größtes Hindernis. "Geld für erneuerbare Energien ist reichlich vorhanden, es wartet nur auf langfristige Sicherheiten und die geeigneten Projekte", sagt Nikolai Ulrich, bei der HSH Nordbank für erneuerbare Energien zuständig. Vor allem in den Ölstaaten gebe es ausreichende Mittel, und es sei ein vorsichtiger Paradigmenwechsel spürbar, berichtet auch Abengoa-Solar-Manager Geyer: "Man wird sich langsam der Endlichkeit der fossilen Ressourcen bewusst und realisiert, dass die Sonne das neue Öl werden kann."

Woran es noch fehlt, sind aber die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, damit das Geld auch investiert werden kann. Das fängt mit den europäischen Stromnetzen an: Sie sind schon den heutigen Lasten und den liberalisierten Strommärkten kaum gewachsen (siehe TR 12/07). Zudem ist unklar, wer die neuen transeuropäischen Stromautobahnen bezahlen soll. "Wir bräuchten einen zweiten Gerhard Schröder, der nicht eine Gaspipeline durch die Ostsee, sondern ein Kabel durchs Mittelmeer legt", sagt Wolfgang Knothe, Vorstandsmitglied bei MAN Ferrostaal.

Allerdings sind nicht alle Freunde regenerativer Energien überzeugt, dass solare Großkraftwerke in Afrika der richtige Weg sind, die Energieversorgung Europas sicherzustellen. Der Verband Eurosolar etwa warnt vor einer weiteren Begünstigung großer Konzerne und bezeichnet die erhofften niedri- gen Strompreise nach den Erfahrungen der Wirtschaftsgeschichte als Wunschtraum. Europa müsse vor allem den Ausbau der dezentralen Energieversorgung forcieren, sagt Irm Pontenagel, Geschäftsführerin von Eurosolar.

Die Konzerne selbst reagieren ebenfalls eher verhalten auf das Desertec-Konzept. "Prinzipiell ist das eine attraktive Idee, wir sehen aber noch großen Entwicklungsbedarf", sagt etwa Samuel Kutter aus dem Bereich neue Technologien bei E.on Energie. Derartige Systeme mit den existierenden Infrastrukturen zu koppeln sei noch eine große Herausforderung.

Der Solar-Visionär Knies hat schon 2003 zusammen mit dem Hamburger Klimaschutz-Fonds und dem Jordanischen Nationalen Energieforschungszentrum die Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation (Trec) gegründet, um die Technologie voranzubringen. In einem Aktionsplan beschreibt Trec, wie es weitergehen könnte: Regierungen sollen mit einer Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro den Weg zur Rentabilität überbrücken. Wie genau diese Summe zu investieren sei, werde jetzt anhand konkreter Angebote ausgearbeitet, sagt Knies. Parallel dazu müsse der Rahmen für ein transkontinentales Stromnetz geschaffen werden. Die ohnehin geplante Annäherung der EU an Afrika im Rahmen der Mittelmeerunion könnte eine gute Gelegenheit dazu sein. Für das Treffen Mitte Juni hat die französische Regierung jedenfalls die Solarenergie weit oben auf die Agenda gesetzt. (bsc)