Video-Upgrade für Wikipedia

Die nutzergenerierte Online-Enzyklopädie will sich multimedial erweitern: Bald soll es ganz leicht möglich sein, auch Filmclips in das Lexikon einzustellen.

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Lesezeit: 5 Min.
Von
  • David Talbot

Die Organisatoren hinter dem Online-Lexikon Wikipedia bereiten sich auf einen entscheidenden multimedialen Schritt vor: Bald soll es möglich werden, Artikel mit wenigen Mausklicks um Filmclips zu erweitern und diese online sogar zu schneiden. Damit soll die derzeit vor allem aus Texten, Fotos und Zeichnungen bestehende Enzyklopädie um freie Bewegtbildinhalte erweitert werden.

In zwei bis drei Monaten soll jeder Wikipedia-Nutzer über einen kleinen Knopf namens "Add Media" ("Medien ergänzen") zusätzliche multimediale Inhalte in einen Artikel einstellen können. Dazu erscheint eine Seite, auf der es möglich ist, nach Videos zu suchen, die anfangs aus drei Datenbanken mit gemeinfreiem Material stammen werden. Findet der Nutzer geeignete Sequenzen, können diese einfach in den Artikel gezogen werden, ohne dass er sich auf seinem Rechner Schnittsoftware installieren oder sich um Formatkonvertierungen kümmern müsste. Das Ergebnis ist ein anklickbarer Videoclip, der innerhalb des Artikels erscheint.

In einem zweiten Schritt plant Wikipedia außerdem, den Usern zu erlauben, das gesamte Web nach importierbaren Videos zu durchsuchen – entsprechende Werkzeuge zum Schnitt, zur Ergänzung und zur Neuorganisation solchen Materials werden gerade entwickelt. Das soll grundsätzlich fast genauso einfach möglich sein wie bislang die Manipulation von Text.

"Den Leuten die Möglichkeit zu geben, Notizen bestehenden Videos hinzuzufügen, sie zu schneiden und anderweitig zu verbessern, ähnelt dem, was bislang mit schriftlichen Einträgen möglich war", sagt Peter Kaufman, Produzent beim New Yorker Dokumentarfilmunternehmen Intelligent Television, das Kultur- und Bildungseinrichtungen hilft, Inhalte ins Netz zu bringen. Das sei eine fantastische Möglichkeit, audiovisuelle Darstellungen der Welt näher zu bringen, ähnlich wie das Wikipedia jetzt schon mit Wissen in Textform tue.

Erste Quelle, die die Wikipedianer demnächst anzapfen können, wird das freie Internet Archive sein, in dem inzwischen bereits fast 200.000 Filme zu finden sind, darunter Dokumentationen, Interviews und diverse zeitgeschichtliche Schätzchen wie etwa Bildungsfilme aus den Fünfzigerjahren. Weitere Ressourcen sind die Wikimedia Commons, eine Datenbank der gemeinnützigen Wikipedia-Mutter Wikimedia Foundation mit mehr als fünf Millionen Medien, darunter vielen Videos, sowie Metavid, ein Verzeichnis mit zahllosen Reden und Anhörungen des US-Kongresses. Viele der Videos sind bereits mit Untertiteln versehen, was die Einordnung und das Durchsuchen enorm erleichtert – es reicht dann beispielsweise aus, nach Worten oder Satzteilen zu suchen, um direkt an die passende Stelle eines Beitrags zu gelangen.

Zentrales Element des Wikipedia-Vorhabens, das unter anderem von der Mozilla-Stiftung finanziert wird, die den Browser Firefox herstellt, ist die Verwendung von freien Formaten. Darauf besteht man bei der nutzergenerierten Enzyklopädie – und hofft, dass der "Add Media"-Knopf auch dazu führt, dass Inhalteanbieter mehr Material gemeinfrei stellen. Der Gedanke dabei: Wer möchte, dass seine Filme einem derart großen Publikum wie bei Wikipedia zugänglich werden, muss sich in Sachen Copyright auch freizügiger zeigen. "Sobald die Leute sehen, dass freie Videos im freien Web viel sichtbarer sind, wird es die Inhalteanbieter hoffentlich dazu motivieren, an Bord zu kommen – denn sonst verpassen sie dieses Schiff", meint Michael Dale, Software-Ingenieur bei Kaltura, einem Video-Start-up aus New York, das die Wikimedia Foundation bei ihrem Vorhaben unterstützt.

Bei dem Projekt sollen auch Web-Werkzeuge entwickelt werden, die es erlauben, Videoformate problemlos umzuwandeln und das Ergebnis dann mit wenigen Klicks passend zu schneiden. Findet ein Wikipedia-Autor relevante Filmschnipsel, erhält er eine Vorschau angezeigt und markiert dann "In"- und "Out"-Punkte, also die Bereiche, wo geschnitten werden soll. Dateiformate müssen ihn dabei nicht interessieren. "Aktuell ist der Workflow ziemlich schrecklich, wenn die Leute Videos herunterladen, konvertieren und schneiden wollen", sagt Dale. Es gebe einfach zu viele inkompatible Formate. Mit dem neuen Wikipedia-System werde es jedoch möglich, Medien ganz einfach in Seiten zu integrieren. "Das gab es vorher noch nicht."

Kaltura hilft bei der Entwicklung solcher Werkzeuge. "Es geht dabei um das einfache Hochladen und den Import – alles Dinge, die vor dem eigentlichen Schnitt stattfinden müssen", sagt Shay David, Mitbegründer und Technikchef der Firma. Das System wurde Ende vergangener Woche erstmals auf der "Open Video Conference" in New York gezeigt.

Erik Moeller, stellvertretender Direktor der Wikimedia Foundation, hofft, dass das Projekt dazu führt, dass der Zugriff auf historisches Material, auf politische Reden, Interviews und Dokumentationen, die heute kaum zu sehen sind, deutlich erleichtert wird. Wikipedia sei als enorm populäre Website dafür bestens geeignet. "Es ist traurig und schade, dass Sender, die sich in öffentlicher Hand befinden, bei diesem Projekt nicht führend sind", meint Moeller. Ihre Mission müsse doch sein, alles zu tun, die Verbreitung ihres Materials zu steigern. "Das sehe ich aktuell noch nicht." (bsc)