"Das wird Milliarden kosten"

Die US-Geologin Allison Macfarlane über das Endlager-Problem der Vereinigten Staaten, seine Bedeutung für die Zukunft der Kernenergie und die Vorbilder Schweden und Finnland.

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Von
  • David Talbot

1982 beschloss die damalige US-Regierung, ein Endlager für den hochradioaktiven Abfall aus amerikanischen Kernkraftwerken zu suchen. Als Kandidat kristallisierte sich dann der langgestreckte Bergrücken Yucca Mountain im Bundesstaat Nevada heraus, und 1987 beauftragte der US-Kongress das Energieministerium (DoE) offiziell mit der Untersuchung der potenziellen Lagerstätte. Anfang dieses Jahres gab die Regierung von Barack Obama bekannt, Yucca Mountain nicht weiter zu verfolgen und stattdessen die Suche nach Alternativen zu finanzieren – während sich in den Zwischenlagern der amerikanischen AKWs inzwischen 60.000 Tonnen Atommüll auftürmen.

Technology Review sprach mit der Geologin Allison Macfarlane, die das Kernenergieforschungsprogramm des DoE mit evaluiert hat, über das Endlager-Problem der Vereinigten Staaten, seine Bedeutung für die Zukunft der Kernenergie und die Vorbilder Schweden und Finnland. Macfarlane ist Autorin des Buches „Uncertainty Underground: Yucca Mountain and the Nation's High-Level Nuclear Waste“.

Technology Review: Sie sind als Yucca-Mountain-Kritikerin bekannt. Bedeutet das auch, dass sie gegen Kernenergie sind?

Allison Macfarlane: Ganz und gar nicht. Angesichts des Klimawandels brauchen wir die Kernenergie definitiv.

Technology Review: Erst im letzten Jahr hatte die Regierung von George W. Bush bei der Nuklearen Aufsichtsbehörde NRC den notwendigen Antrag für den Bau des Endlagers Yucca Mountain eingereicht. Nun sagt Energieminister Steven Chu, Yucca Mountain sei „vom Tisch“. Ist der Ort wirklich ungeeignet?

Macfarlane: Ja. Die Gegend ist seismisch und vulkanisch aktiv. Was schwerer wiegt, ist, dass die Lagerstätte in einer oxidierenden Umgebung liegen würde. Das heißt, deponierte Stoffe würden dort mit Luftsauerstoff in Berührung kommen. Wenn dann noch Wasser hinzukommt, bleiben weder der Atommüll noch die Behältermaterialien stabil. Die USA sind bisher das einzige Land gewesen, das eine Lagerstätte in solch einer Umgebung erwogen hat.

Technology Review: Warum haben die US-Regierungen dann 22 Jahre an Yucca Mountain festgehalten?

Macfarlane: Im Wesentlichen aus politischen Gründen. Ursprünglich waren drei Orte in die engere Auswahl gekommen: Neben Yucca Mountain noch einer in Texas und ein weiterer im Bundesstaat Washington. Dem Kongress war die Untersuchung von allen dreien jedoch zu teuer. In der dann folgenden Auseinandersetzung um das Atommüllprogramm war der Bundesstaat Nevada der schwächste und zog den Kürzeren.

Technology Review: Die Politik in Washington hat ebenfalls zum Aus von Yucca Mountain beigetragen. Einer der beiden Senatoren von Nevada, Harry Reid, ist inzwischen Mehrheitsführer im Senat und seit langem erklärter Gegner des Endlagers.

Macfarlane: Das kann sein, aber die technischen Bedenken sind auf jeden Fall real und ernst zu nehmen.

Technology Review: Wird die Entscheidung gegen Yucca Mountain eine Renaissance der Kernenergie abwürgen?

Macfarlane: Nein. Es gibt in der Geschichte keinen Fall, in dem ein fehlender Plan für den Atommüll die Kernenergie aufgehalten hätte.

Technology Review: Was passiert nun?

Macfarlane: Innerhalb der nächsten fünf Jahre wird fast jedes AKW über Atommüllbehälter [wie den Castor, die Red.] verfügen. Die abgebrannten Brennstäbe werden aus dem Abklingbecken in Behälter aus Stahl und Beton verfrachtet, die dann innerhalb des Sicherheitsbereichs des Kraftwerks lagern. Als Zwischenlösung ist das eine ziemlich sichere Sache. Letzlich werden aber auch diese Behälter rosten und verfallen, so das radioaktive Stoffe in die Umgebung entweichen – auch wenn das wahrscheinlich Jahrhunderte dauert. Deshalb brauchen wir eine geologische Lagerstätte.

Technology Review: Welche geologische Formation ist denn geeignet?

Macfarlane: Der radioaktive Müll müsste in einer so genannten reduzierenden Umgebung gelagert werden, also einer, in der es keinen freien Sauerstoff gibt. Das bedeutet normalerweise unter dem Grundwasserspiegel. Salzformationen können ebenfalls reduzierend wirken, auch wenn sie noch über dem Grundwasserspiegel liegen. Die Schweden und die Finnen wollen ihren Atommüll in Granit und metamorphen Gesteinen lagern, mit den Behältern unter dem Grundwasserspiegel. Das geht auch. Unter solchen Bedingungen ist der abgebrannte Brennstoff – also Urandioxid, Spaltprodukte und Actinide [radioaktive Elemente wie Plutonium, die Red.] – relativ stabil. Ohne freien Sauerstoff bleibt er einfach da liegen.

Technology Review: Brauchen wir solche Lagerstätten, wenn in künftigen Reaktoren womöglich mehr Plutonium genutzt wird – oder wenn eines Tages gar entschieden wird, alten Atommüll wieder aufzubereiten, um Plutonium zu gewinnen?

Macfarlane: Ja. Die Franzosen bereiten ja ihren verbrauchten Brennstoff wieder auf und brauchen trotzdem ein Endlager. Derzeit erforschen sie eine Lagerstätte in Bure in Nordostfrankreich. Sie besteht aus relativ feinkörnigem Sedimentgestein, das ebenfalls eine reduzierende Umgebung ist.

Technology Review: Wo gibt es geeignete Lagerstätten in den USA?

Macfarlane: Es gibt viele, überall im Land.

Technology Review: Dann können Sie uns ja zwei oder drei nennen.

Macfarlane: Ich habe das nicht im Detail untersucht, und ich will nicht, dass sich jetzt irgendjemand aufregt. Wir sind aber ein großes Land, mit vielen denkbaren Orten. Eine Überlegung sollte allerdings sein, eine Lagerstätte auszuwählen, wo die Bevölkerung kein Problem mit der Kernenergie hat. Das ist der Grund, warum die Schweden und die Finnen erfolgreich waren.

Technology Review: Im Falle von Yucca Mountain brauchte es 22 Jahre und 8 Milliarden Dollar, um keinen Schritt weiter zu kommen. Lassen wir die Politik mal außen vor: Wie lange wird es dauern, und wieviel wird es kosten, bis in den USA das erste Endlager eröffnet wird?

Macfarlane: Wir sind nicht "keinen Schritt weitergekommen". Wir haben schon etwas dazugelernt. Einige Jahrzehnte sollten wir dafür veranschlagen. Es wird Milliarden kosten, aber das ist der Preis der Kernenergie. (nbo)